Menschen mit Bibelkenntnissen haben eher den Spruch im Ohr von der «weiten Pforte und dem breiten Weg, der zum Verderben führt». Dieser findet sich einzig bei Matthäus (7,13). Der Evangelist Lukas kannte nur die Aufforderung Jesu, die enge Tür zu durchschreiten. Die Tür wohinein? In einen neuen Erkenntnisraum! Gemäss Lk 11,52 tadelte Jesus die Gesetzeslehrer: «Ihr habt den Schlüssel zur Erkenntnis weggenommen. Ihr selbst seid nicht hineingegangen, und denen, die hineingehen wollten, habt ihr es verwehrt.»
Für Jesus als Reich-Gottes-Mensch war klar, worin die Erkenntnis besteht: sich so verwandeln zu lassen, dass das «falsche Leben» dem «wahren Leben» weicht. Ein solcher Mensch ist ganz bei sich zu Hause; er erfährt sein Leben als sinnvoll und handelt klug. Er hat den Reizhunger abgelegt, braucht sich nicht zu betäuben und klammert sich auch nicht länger an seinen Schmerz oder an seine Opferrolle.
Die Tür ist ein Bild für einen Durchgang. Dass dieser eng ist, weist darauf hin, dass sperriger Ballast zuvor abgeworfen werden muss. Vermeintliche Sicherheiten und das ganze widersprüchliche Selbstbild gilt es abzulegen. Auch Erfolg und Status, Besitzansprüche oder Ideale verstellen den Weg und die Sicht. Demut ist gefragt. Der Durchgang kann sich sogar wie Sterben anfühlen, wie der Totalverlust von dem, was bisher trug. Garantie gibt es keine, dass jenseits der Schwelle ein Ostermorgen wartet, ein freudiges, lebendiges Auferstehen. Das will radikal riskiert sein: «Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Händler, der schöne Perlen suchte. Als er aber eine besonders kostbare Perle fand, ging er hin, verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie» (Mt 13,45f).
Diesen neuen Bewusstseinsraum hielt Jesus offen. Der Funke sprang auf viele über, die ebenfalls «danach strebten, einzutreten». Dieses «wahre Leben» erschien vielen attraktiv. Wer möchte nicht zum kostbaren Wesen befreit werden, das er in seinem Kern bereits ist? Und von Jesu Seite her keine Hürden, keine hinderlichen Zulassungsbegrenzungen. Nichts als diese offene Tür!
Jesus warb dafür. Er lockte. Er pries die tiefe Resonanz mit dem göttlichen grossen Ganzen, die dahinter zu erfahren war. Irgendwie konnte er es wohl selber kaum nachvollziehen, dass sein Werben so wenig bewirkte. Und sein Seufzen geht bis heute weiter: «Stell dir vor, das Reich Gottes ist offen, und keiner geht hinein!»