Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren ...

Jesus hat das Wort

Aus vorösterlicher Perspektive drängt sich die Lesart auf, dass Jesus mit seinem geheimnisvollen Spruch eine Anleitung zur «Selbstverwirklichung» geben wollte.

Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es verliert, wird es gewinnen.  (Lk, 17,33)

Wie bitte? Was veranlasste Jesus dazu, so kryptisch zu reden? Wollte er seinen Zuhörern eine knifflige Denkaufgabe stellen? Oder war vielleicht das Thema so unaussprechlich, so fremd und rätselhaft, dass er es nur auf paradoxe Weise ausdrücken konnte?

Im griechischen Urtext ist von der «psyche» die Rede. Damit gemeint ist der Lebensatem, die ganze Vitalität aus dem Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele. Dieser Spruch findet sich in allen vier Evangelien, jeweils jedoch in an­deren Sinnzusammenhängen und Deutungen. Meist zielen sie auf ein Leben nach dem Tod oder auf den Gewinn, der bei einem Martyrium um Jesu willen winkt. Aber wir hören hier ja dem historischen Jesus zu, bewegen uns im vorösterlichen Raum, als Jesus noch herumzog und lehrte: Entscheidend sei die Ausrichtung auf das «Reich», auf die Gegenwart Gottes. Aus dieser Perspektive drängt sich die Lesart auf, dass Jesus mit seinem geheimnisvollen Spruch hier eine Anleitung zur «Selbstverwirklichung» geben wollte. Er benannte das wirkliche, «eigentliche Leben», das offenbar verfehlt werden kann, weil es auch noch ein falsches gibt, das aber nicht so leicht vom wahren zu unterscheiden ist.

Was machte die «Lebensqualität» eines Menschen in der Antike aus? Status, Ansehen und Macht gewann er vor allem aus seiner Herkunft und seinem Eigentum. Auf derartige Ansprüche verzichtete Jesus gänzlich. Daher kann sein weisheitlicher Satz so gelesen werden: Wer sich selbst verwirklichen will, wird sich verlieren. Wer also dem Geld und dem Genuss hinterher läuft, wer in erster Linie auf Leistung aus ist und sich gern als erfolgreiche, dynamische Persönlichkeit präsentiert, ist nicht auf der Seite des wahren Lebens. Er gilt wohl viel vor aller Welt, vermehrt Trophäen und Titel, verpasst aber die «Fülle des Lebens», seinen tieferen Sinn.

Der jüdische Psychiater Viktor Frankl, Überlebender von vier Konzentrationslagern, prägte den Begriff der «Selbsttranszendenz»: Ganz Mensch sei man dort, wo man sich selbst überschreitet, wo man ganz aufgeht in der Hingabe an eine Aufgabe oder an eine Person. Wer also «gewinnt sein Leben»? Wer es verliert, wer es hingibt, wer sich nicht an seine Errungenschaften klammert, wer seine Selbst-Täuschungen loslässt. Verlust und Scheitern sind wie «kleine Tode», aber sie erschliessen wahren Lebenssinn.

Zur Kolumne

Jesus lebte und verkündete das «Reich Gottes», die Welt, wie sie sein kann und soll. Er wollte gehört, nicht geglaubt werden. Seine Botschaft vom Heil für alle lässt bis heute aufhorchen. «reformiert.» zitiert Jesusworte und denkt darüber nach.

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