Zum Hintergrund der Kolumne

Jesus hat das Wort

Jesus wollte nicht geglaubt, sondern gehört werden. Seine Botschaft vom Heil für alle lässt bis heute aufhorchen.

Die Glaubensinhalte des Christentums sind von Paulus geprägt, wir reden von Christus, Dogmen, Opfertod, Auferstehung, Pfingsten, christlicher Freiheit (gegenüber dem Gesetz). Der jüdische Jesus sah sich selber nicht so, wie der hellenistisch geprägte Paulus ihn deutete.

Was sagte, verkündete und wollte Jesus, der «Anstifter» und Urgrund unseres Glaubens? Als besonders authentisch gelten die Sprüche aus der frühen Logienquelle Q. Sie umfasst eine Sammlung von «Herrenworten», die allerdings nicht als geschlossenen Textsammlung vorliegt, von der man allerdings annehmen darf, dass sie sich in den Jahrzehnten nach Jesu Tod allmählich kondensierte. Das Gut aus dieser Quelle findet sich in übereinstimmenden Passagen im Matthäus- und Lukasevangelium.

Eine erste, bahnbrechende Rekonstruktion dieser «Quelle Q» legte der Kirchenhistoriker Adolf von Harnack bereits 1902 vor. Er war auch einer der ersten, der die Hellenisierung – vorab durch die Theologie des Paulus – als einen «Prozess der Selbstentfremdung des Christentums» bewertete.

Direkt zuhören. Mit der Rubrik «Jesus hat das Wort» werfen wir den Blick auf diese Vorstufe der Gattung «Evangelium», wollen Jesus möglichst «direkt» zuhören und uns fragen, was er mit seiner zentralen Reich-Gottes-Praxis gelehrt und vorgelebt hat. Wir gehen damit «back to the roots», in die Phase, bevor aus der Jesusbewegung der Christuskult wurde.

Das «Reich Gottes» oder die «Herrschaft Gottes» war für Jesus kein Verweis auf eine jenseitige Welt, sondern eine Lebensform, eine Lebensweise in der aktuellen Welt der Menschen. Er erzählte in Gleichnissen davon und ging selbst auf diese Weise mit Menschen um.

Das «Reich Gottes» kommt im grossen Festmahl-Gleichnis  (Lk 14,15-24) wie ein Traum daher: Am Tisch sitzen vereint Arme und Reiche, Sklaven und Freie, Frauen und Männer, Schriftgelehrte und Zöllner und andere Sünder. Niemand ist ausgeschlossen. Die offene Tischgemeinschaft zeigt, wie geschwisterliches Leben aussieht.

Die «goldene Regel» (Lk 6,31) ist die Summe von Jesu Lehre: Alle Menschen sind für gleich zu nehmen. Es gilt, egalitär zu denken und zu handeln. Jesus geht es um Menschen, er vertritt das Allgemeine, ob Juden oder Nichtjuden, er unterscheidet nicht. Jesus tritt auf als Weisheitslehrer und als Erzähler. Er lädt alle dazu ein, Mitmenschlichkeit zu leben.

«Dieses Gleichheitsdenken Jesu in seinem Reich-Gottes-Verständnis ist erschreckender als alles, was wir uns vorgestellt haben. Selbst, wenn wir es nie annehmen können, sollten wir doch nie versuchen, es wegzuerklären und als etwas anderes, als es ist, auszugeben.» (John Dominic Crossan)

Die Ersten und die Letzten. Jesu Reich-Gottes-Botschaft ist der Entwurf einer Gegenwelt von unten, in der es nicht mehr um Macht und Gewalt(tätigkeit) geht. Er und seine Schüler traten im Namen Gottes auf, der auf der Seite der Armen und Gewaltlosen steht.

Er strebte weder die Gründung einer Gemeinde noch gar der Kirche an. Es ging ihm um ein Umdenken der Menschen: Wer Erster sein will, der sei der Letzte und Sklave aller. Er schuf keine neue Herrschaft, die eine alte ablöste. «Jesus stand in der Linie der Propheten Israels, in der Nachfolge von Amos, Hosea, Jesaja und Jeremia. Seine Angriffe auf die Verderbnisse der Zeit, seine Zusage göttlicher Gnade für die, die ‚zerschlagenen und demütigen Geistes sind’, folgt mit voller Absicht dem Muster der grossen Propheten.» (Will Herberg, jüdischer Philosoph und Theologe)

Jesus war ein Wanderprediger und seine palästinischen Nachfolger ebenfalls. Sie kehrten in den Häusern ein, die Zuwendung und die Erfahrung der Tischgemeinschaft war das Herz seiner Bewegung. Vier Verbote befolgten die so Ausgesandten: Kein Brot, keine Tasche, kein Geld, niemals zwei Untergewänder – nichts als Wanderstab und Sandalen. Sie sollten nichts mit Geld zu tun haben. Und zu zweit gehen, vielleicht gar als Mann und Frau?

Auch diese Regeln hat Jesus nicht selber erfunden, sie stammen aus der Überlieferung. Der Prophet Elija war eines seiner Vorbilder, wohl aber auch griechische Philosophen und Lehrer wie Diogenes. Radikale Armut bedeutete Freiheit! Sie durften nicht Almosen entgegennehmen für ihre Krankenheilungen, sondern nur die Tischgemeinschaft dafür in Anspruch nehmen.

Für alle annehmbar. Wenn das Christentum der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu folgt, braucht seine Wahrheit nicht geglaubt, bewiesen oder verteidigt zu werden. Es reichen Offenheit und Mitgefühl für alles Lebende.

Die Frohbotschaft vom Reich Gottes hat sich schon vielerorts den Weg gebahnt, weit über die Kirchenmauern und -Verwaltungen hinaus: Als «liberté-égalité-fraternité», in der Erklärung der Menschenrechte, in der Sozialgesetzgebung vieler Staaten. Es geht um Menschenrechte, Ehrfurcht vor dem Leben, soziale Gerechtigkeit, die Würde der Frau, Wahrhaftigkeit. Dieses Reich-Gottes-Programm ist nicht nur für Christen annehmbar, auch Menschen anderer Religionen, selbst Agnostiker und Atheisten können es akzeptieren.

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