Mit dem Bus 862 fahre ich vom Bahnhof Wetzikon nach Gossau. Beim Ernst-Brugger-Platz steige ich aus. Neben einer Praxis für Zahnprothesen und dem Polizeiposten ist die prächtige Kirche schnell zu finden. Ich bin zehn Minuten zu früh. Deshalb setze ich mich hinter der Kirche auf eine Bank und geniesse den Frühling. Es gelüstet mich, in einem Buch von Adalbert Stifter oder Gottfried Keller zu lesen. Doch mir kommt der Grund des Ausflugs in den Sinn. Ich gehe also zum Pfarrhaus. Johannes Huber, der mehr einem Fussballer vom FC Barcelona als einem Pfarrer gleicht, öffnet die Türe.
Ist es als Pfarrer schwierig, es möglichst vielen recht zu machen, und dabei die innere Haltung trotzdem nicht zu verlieren?
Johannes Huber: Das ist wie beim Fussball. Wenn etwas nicht gut läuft, wissen 30 000 Zuschauer, was der Trainer besser machen müsste. Auch der Pfarrer ist eine öffentliche Person. Damit ist er genauso der Kritik ausgesetzt.
So gesehen, ist es gut, kommen am Sonntag nicht gleich 30 000 Leute zum Gottesdienst.
Warum nicht? Ich hätte nichts dagegen. Wenn ich zum Beispiel in meiner Predigt eine Pointe wage oder über die Sexualität spreche, finden das die einen befreiend, den anderen gefällt es gar nicht. Ich habe einmal erklärt, woher das Wort «Seele» im Alten Testament eigentlich kommt. Im Hebräischen kann «Seele» auch «Kehle» bedeuten. Für beide Begriffe wird das gleiche Wort verwendet. Ich wollte den Kirchgängern zeigen, wo die Seele wohnt, und fing an zu gurgeln. Denn vom hebräischen Verständnis her geht alles durch Seele und Kehle: das Essen, das Trinken, das Schluchzen, der Freudenjuchzer, das Stöhnen und somit auch die Sexualität. Die Bibel denkt ganzheitlich und leiblich – Leib, Seele, Geist gehören untrennbar zusammen.
Sie wollen als Prediger auch unterhalten?
Ich versuche immer, etwas Humor in den Gottesdienst hinein zu bringen. Aber das darf nie auf Kosten anderer geschehen. Selbstironie muss spürbar sein. Eine gute Predigt soll nicht nur belehren. Sie soll die Menschen auch erfreuen. Ich habe sogar einmal eine Predigt mit dem Song «Lass Dich überraschen» von Rudi Carrell angefangen. (Er beginnt zu singen.)
Ich kenne Künstler, bei denen sich vor Auftritten ein starker Aberglaube eingeschlichen hat. Wenn sie in bestimmten Schuhen oder Hosen bei einem Auftritt Erfolg hatten, gehen sie nachher nur noch in diesen Kleidungsstücken auf die Bühne. In einem gewissen Sinn ist ein Pfarrer ja auch ein Unterhalter. Sind Sie abergläubisch?
Nein. Was die Schuhe betrifft, schon gar nicht. Ich besitze nur ein Paar, das ich im Gottesdienst tragen kann.
Mögen Sie eigentlich Fussball?
Ich spiele selber. Ziemlich gut sogar. Wir Pfarrer haben auch eine eigene Mannschaft. Ich wollte mich bei denen schon lange einmal bewerben.
Wie heisst die Mannschaft? FC Reformiert?
Nein, FC Religionen. Pfarrer, Priester, Rabbiner und Imame spielen mit.
Und gegen wen? Den FC Vatikan?
Ich erinnere mich an ein Spiel gegen Politiker. Sie spielten gegen eine Mannschaft des Gemeinderats von Zürich.
Zum Schluss zur Quizfrage: Wie viele Reformierte wohnten 2015 im Kanton Zürich?
Für Gossau wüsste ich die Antwort. Hier wohnen 4300 Reformierte. Ich schätze 250 000.