Wer kennt die Sätze nicht? «Der Glaube kann Berge versetzen» oder «Alles ist möglich, dem der glaubt.» Ich hatte tatsächlich Momente, da erhielt ich im Hinabtauchen in scheinbar unlösbare Probleme eine göttliche Antwort. Aber warum funktioniert das nicht, wenn ich Gott um die Lottozahlen bitte?
Martin Günthardt: Und dann würden plötzlich alle gewinnen? Die gleiche Frage stellen sich wohl Fussballer, die vor den Spielen beten, damit sie gewinnen, und sich auf dem Rasen bekreuzigen.
Das Bekreuzigen auf dem Spielfeld ist doch eher ein Dank an Gott nach einem Tor.
Stimmt. Aber ich würde nie zu einem Menschen in einer schwierigen Situation sagen, er müsse nur stark genug glauben, damit passiert, was er sich wünscht. Einem Mensch, der schwer krank ist, darf ich doch nicht sagen, sein Glaube sei halt zu schwach. Das wäre anmassend.
Aber Jesus selbst hat doch gesagt: «Dein Glaube hat dich geheilt.»
Erstens bin ich nicht Jesus und zweitens ist das Zentrale nicht das Wunder, sondern das Vertrauen. In freikirchlichen Gottesdiensten sieht man manchmal, wie sie im Rollstuhl jemanden zum Prediger nach vorne stossen, und ein paar Minuten später steht der Kranke auf und kann wieder gehen. Davon halte ich nicht viel.
Ein Gleichnis, das ich nicht wirklich verstehe, ist das von den drei Personen mit den Talenten (Mt 25,14-30 und Lk 19,12-27). Einer erhält von Gott fünf, ein anderer drei, der Dritte nur ein Talent. Die beiden, die daraus Kapital schlagen, bekommen einen Platz an Gottes Tisch, der Letzte wird in die Wüste geschickt. Wimmelt es im Himmel also von Hedgefondsmanagern und Investmentbankern?
Das ist kein einfaches Gleichnis. Ich lese daraus, wer etwas mit seinen Talenten macht, wer Risiken eingeht, wird belohnt. Wer nichts macht, geht leer aus.
Und was passiert mit den Verlierern?
Jeder Mensch hat eine Begabung. Das Gleichnis ist ein Ansporn für Kreativität.
Ein Freund erzählte mir, dass Chöre an den Beerdigungen ihrer Passivmitglieder immer singen kommen. Um die Hinterbliebenen dann einmal zu beeindrucken, wurde er jetzt gleich Passivmitglied bei zwölf Chören.
Eine Abdankung mit zwölf Chören musste ich noch nie gestalten. Als Jazzfan hätte ich da womöglich noch ein zusätzliches Problem. Hinterbliebene wollen immer häufiger eine Abdankung mitgestalten. Das finde ich gut so. Eine Abdankung wird dann persönlicher. Ich bin der Meinung, eine Trauerfeier braucht eine Struktur, und ich gehe davon aus, dass die Hinterbliebenen an diese kirchliche Tradition anknüpfen wollen, wenn sie mich anfragen. Musik dabei ist sehr wichtig. Sie schafft grosse Emotionen, die mit Wörtern allein nicht zu erzeugen sind. Wenn jemand eine Abdankung mit zwölf Chören machen will und zu mir sagt, ich solle sie nur organisieren, aber nichts sagen, kein Gebet und kein Segen, dann wäre ich dafür die falsche Person.
Zum Schluss wie immer die Quizfrage.
Die Quizfrage machte mich schon bei der Anfrage für dieses Gespräch nervös.
Ich mache es leicht: Wie oft kommt im Neuen Testament das Wort Jerusalem vor?
Leicht sagst du dem?
Im Alten Testament sind es 757 Mal.
Im Alten Testament kommt es sehr häufig vor, allein wegen den Psalmen. Ich tippe auf 150 Mal.