Mein Wecker klingelt um sechs Uhr. An die Pfarrerin Liv Kägi, die ich vor einem Monat zum Gespräch getroffen habe, schicke ich eine SMS: «Warum sind Pfarrer so Frühaufsteher?» Ich steige in Horgen aus dem Zug, als ihre Antwort kommt: «Ich liege noch im Bett.» Gegenüber einem Geschäft, das Stützstrümpfe in sechs verschiedenen Farben in das Schaufenster gestellt hat, finde ich das Pfarrhaus. Dort werde ich von Johannes Bardill herzlich begrüsst.
Beim Wettbewerb «Hat der Pfarrer recht?» stellte ich in der letzten Folge zuerst die Frage: «Wie viele reformierte Kirchen gibt es im Kanton?» Wir mussten dann eine neue Frage finden, weil nicht einmal die Kirche selbst die Antwort weiss. Das ist unglaublich, oder?
Johannes Bardill: König David veranstaltete einmal eine Volkszählung. Darauf wurde David von Gott bestraft, denn diese Zählung gefiel ihm nicht. Wahrscheinlich will Gott nicht, dass wir wissen, wie viele Kirchen es im Kanton Zürich hat. Und solange es noch mehr Kirchgänger als Kirchen gibt, herrscht kein Grund zur Beunruhigung. An einem guten Sonntag habe ich hundert Besucher in der Kirche, an einem schlechten ungefähr vierzig.
Ein Wettbewerb im Kontext ihrer Predigt würde mehr Menschen in die Kirche bringen. Worum ging es bei Ihrer letzten Predigt?
(Überlegt lange) Das war etwas aus dem Markus-Evangelium.
Sie wissen es nicht mehr?
Hauptsache, die Kirchgänger wissen es noch. Es ist drei Wochen her, inzwischen ist so viel passiert. Ich glaube, es war die Heilungsgeschichte aus Markus 9.
Sie könnten vor dem Segen eine Quizfrage zur Heilung des besessenen Knaben stellen. Zu gewinnen gäbe es die Hälfte der Kollekte.
Treue Kirchgänger kommen auch so.
Aber mit dem Quiz könnte man die Besucherzahl und auch die Kollekte erhöhen.
Aber was mache ich mit denen, die nur wegen des Quiz kommen? Ich will doch mit der Gemeinde feiern und nicht zusehen, wie alle auf das Quiz warten. Natürlich ist es schön, wenn die Plätze voll sind, aber es geht im Gottesdienst nicht nur um ein volles Haus.
Soll ein Pfarrer vor wichtigen Abstimmungen eine politische Haltung einnehmen?
Sie meinen die Durchsetzungsinitiative?
Zum Beispiel.
Es steht nirgendwo in der Bundesverfassung, dass ein Pfarrer das nicht darf. Es ist eine Frage, die ich mir immer wieder stelle: Wie weit soll man gehen, und wo sind die Grenzen? Eine Predigt soll kritisch und gesellschaftsrelevant sein.
Mussten Sie schon einmal wegen eines Missgeschicks an einer Beerdigung lachen?
Ich habe einmal die ganze Trauergemeinde zum Leidmahl eingeladen, obwohl dies nur für einen engen Kreis vorgesehen war. Und einmal, das war aber kein Missgeschick, habe ich meine Predigt mit einem Witz angefangen. Von der Witwe wusste ich, dass der Verstorbene gerne in unpassenden Momenten Witze erzählte. Um ein Bild von ihm wiederzugeben, fing ich die Predigt mit einem Witz an. Zwei alte Männer sind an einer Beerdigung. Der eine fragt den anderen: «Du, wer ist eigentlich gestorben?» «Keine Ahnung. Ich vermute der, der im Sarg liegt.»
Der ist gut. Nun die Wettbewerbsfrage: Wie viele Lieder hat es im Gesangsbuch? Ohne die Psalmen und Gebete natürlich.
Ich schätze: 783.