Recherche 18. Februar 2016, von Beat Schlatter

«Es geht nicht nur um ein volles Haus»

Serie

Schauspieler Beat Schlatter trifft im Auftrag von «reformiert.» Pfarrerinnen und Pfarrer zum Gespräch. Diesmal ist er zu Gast bei Johannes Bardill in Horgen.

Mein Wecker klingelt um sechs Uhr. An die Pfarrerin Liv Kägi, die ich vor einem Monat zum Gespräch getroffen habe, schicke ich eine SMS: «Warum sind Pfarrer so Frühaufsteher?» Ich steige in Horgen aus dem Zug, als ihre Antwort kommt: «Ich liege noch im Bett.» Gegenüber einem Geschäft, das Stützstrümpfe in sechs verschiedenen Farben in das Schaufenster gestellt hat, finde ich das Pfarrhaus. Dort werde ich von Johannes Bardill herzlich begrüsst.

Beim Wettbewerb «Hat der Pfarrer recht?» stellte ich in der letzten Folge zuerst die Frage: «Wie viele reformierte Kirchen gibt es im Kanton?» Wir mussten dann eine neue Frage finden, weil nicht einmal die Kirche selbst die Antwort weiss. Das ist unglaublich, oder?

Johannes Bardill: König David veranstaltete einmal eine Volkszählung. Darauf wurde David von Gott bestraft, denn diese Zählung gefiel ihm nicht. Wahrscheinlich will Gott nicht, dass wir wissen, wie viele Kirchen es im Kanton Zürich hat. Und solange es noch mehr Kirchgänger als Kirchen gibt, herrscht kein Grund zur Beunruhigung. An einem guten Sonntag habe ich hundert Besucher in der Kirche, an einem schlechten ungefähr vierzig.

Ein Wettbewerb im Kontext ihrer Predigt würde mehr Menschen in die Kirche bringen. Worum ging es bei Ihrer letzten Predigt?

(Überlegt lange) Das war etwas aus dem Markus-Evangelium.

Sie wissen es nicht mehr?

Hauptsache, die Kirchgänger wissen es noch. Es ist drei Wochen her, inzwischen ist so viel passiert. Ich glaube, es war die Heilungsgeschichte aus Markus 9.

Sie könnten vor dem Segen eine Quizfrage zur Heilung des besessenen Knaben stellen. Zu gewinnen gäbe es die Hälfte der Kollekte.

Treue Kirchgänger kommen auch so.

Aber mit dem Quiz könnte man die Besucher­zahl und auch die Kollekte erhöhen.

Aber was mache ich mit denen, die nur wegen des Quiz kommen? Ich will doch mit der Gemeinde feiern und nicht zusehen, wie alle auf das Quiz warten. Natürlich ist es schön, wenn die Plätze voll sind, aber es geht im Gottesdienst nicht nur um ein volles Haus.

Soll ein Pfarrer vor wichtigen Abstimmungen eine politische Haltung einnehmen?

Sie meinen die Durchsetzungsinitiative?

Zum Beispiel.

Es steht nirgendwo in der Bundesverfassung, dass ein Pfarrer das nicht darf. Es ist eine Frage, die ich mir immer wieder stelle: Wie weit soll man gehen, und wo sind die Grenzen? Eine Predigt soll kritisch und gesellschaftsrelevant sein.

Mussten Sie schon einmal wegen eines Missgeschicks an einer Beerdigung lachen?

Ich habe einmal die ganze Trauergemeinde zum Leidmahl eingeladen, obwohl dies nur für einen engen Kreis vorgesehen war. Und einmal, das war aber kein Missgeschick, habe ich meine Predigt mit einem Witz angefangen. Von der Witwe wusste ich, dass der Verstorbene gerne in unpassenden Momenten Witze erzählte. Um ein Bild von ihm wiederzugeben, fing ich die Predigt mit einem Witz an. Zwei alte Männer sind an einer Beerdigung. Der eine fragt den anderen: «Du, wer ist eigentlich gestorben?» «Keine Ahnung. Ich vermute der, der im Sarg liegt.»

Der ist gut. Nun die Wettbewerbsfrage: Wie viele Lieder hat es im Gesangsbuch? Ohne die Psalmen und Gebete natürlich.

Ich schätze: 783.

Wettbewerb

Hat der Pfarrer recht oder nicht? Schreiben Sie uns, wie viele Lieder es sind: wettbewerb@reformiert.info oder reformiert.zürich, Preyergasse 13, Postfach, 8022 Zürich. Zu gewinnen gibt es zwei Tickets 1. Kategorie für die h-Moll-Messe von J. S. Bach am 19. März im Grossmüns­ter. Einsendeschluss: 4. März.

Die richtige Antwort auf die Frage in der Ausgabe 1.2 lautet: Das Alte Testament in der Zürcher Bibel von 2007 umfasst je nach Version 1113 Seiten beziehungsweise 1340 Seiten.

Johannes Bardill (50)

Seit 2002 ist Johannes Bardill Pfarrer in Horgen. Zuvor war der Theologe, der zudem eine Ausbildung als Primarlehrer hat, sieben Jahre Pfarrer in Klosters Serneus. Er ist Vorstandsmitglied der Religiös-Sozialistischen Vereinigung. Mit seiner Frau wohnt Bardill im Pfarrhaus im alten Dorfkern von Horgen. Er hat drei erwachsene Kinder.

Bach Collegium Zürich

Die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach ist eine der bedeutendsten geistlichen Kompositionen und das letzte Chorwerk des Komponisten. Bach ist es gelungen, eine grosse musikalische Dichte und Vielfalt sowie verschiedene Stilmittel in einem in sich geschlossenen, stimmigen und klangschönen Werk zu vereinen. Damit stellt das Werk quasi eine Zusammenfassung seines Schaffens dar, ist sein «musikalisches Vermächtnis».

Das Bach Collegium Zürich (BCZ) wurde im Jubiläumsjahr 2000 zum 250. Todestag Johann Sebastian Bachs in Zürich gegründet. Das ambitionierte Ensemble besteht aus einem Chorpool geschulter Stimmen und einem Orchesterpool mit professionellen Musikern, die sich der alten Musik – speziell derjenigen J.S.Bachs – besonders zugetan fühlen.In seiner mehr als 15-jährigen Geschichte hat das Bach Collegium Zürich einen namhaften Teil des Bach’schen Gesamtwerks aufgeführt, vieles auch mehrmals. Darüber hinaus wurde das Repertoire kontinuierlich erweitert mit ausgesuchten Kompositionen von der Renaissance bis zur Moderne.