Recherche 03. August 2017, von Andrea Bianca

«Natürlich gibt es Wunder»

Serie

Zum Schluss der Gesprächsserie werden die Rollen getauscht. Pfarrer und Kirchenrat Andrea Bianca befragt Beat Schlatter zu Wundern und Wein, Kirche und Politik.

Du hast jetzt siebzehn Gespräche mit Pfarrpersonen geführt. Wozu brauchen wir eigentlich Pfarrerinnen und Pfarrer?

Beat Schlatter: Eine gute Predigt ist wichtig im Gottesdienst. Und an einer Beerdigung zum Beispiel hat der Pfarrer als Moderator eine wichtige Rolle. Denn hier kommen verschiedenste Menschen in die Kirche, vielleicht mit unterschiedlichen Interessen. Moderation und Predigt traue ich mir eigentlich auch zu. Entscheidend ist für mich aber, dass Pfarrerinnen und Pfarrer die christlichen Werte ans Volk bringen, die Bibel so auslegen, dass sie gesellschaftlich relevant bleibt.

Wo sind christliche Werte besonders gefragt?

Gehe ich von meiner Wohnung im Zürcher Niederdorf zum Bahnhof, komme ich ständig an eingerüsteten Häusern vorbei. Wohnen ist kaum noch bezahlbar. Oder ich hörte eine Geschichte aus einer Beiz: Zwei Frauen wollten einen Wurstkäsesalat teilen, der Kellner aber sagte, sie müssten zwei Portionen bestellen, selbst wenn sie nicht alles essen. In dieser Stadt geht es ziemlich unchristlich zu.

Und daran kann die Kirche etwas ändern?

Ja. Pfarrerinnen und Pfarrer haben eine Kraft. Wenn sie etwas sagen, hat das Gewicht. Die Leute werden in Zürich nicht freundlicher, wenn das Leben ständig teurer wird. Die steigenden Preise verhärten die Menschen. Nach meinen Interviews für «reformiert.» beschäftigt mich die Frage, wie christliche Werte vermittelt werden können. In den schlecht besuchten Gottesdiensten am Sonntagmorgen funktioniert es ja nicht wirklich.

Wenn ich deine Gespräche lese, finde ich die Antwort: Es braucht Wein und Wunder. Diese beiden Worte kommen immer wieder vor.

Natürlich gibt es Wunder. Das ist das grosse Geheimnis des Glaubens, das Leute wie mich in der Kirche hält. Und zum Wein: Vielleicht muss die Kirche ihre Gebäude neu nutzen. Wenn hier in der Predigerkirche eine Beiz wäre, könnten wir genauso über das Evangelium reden wie am Sonntagmorgen. Bei einem guten Glas Wein vielleicht sogar besser.

Kirchen müssen also verkauft werden?

Keineswegs. Unter der Woche könnten doch Mittagessen ausgegeben oder Kunstausstellungen organisiert werden und am Sonntag trotzdem Gottesdienste stattfinden. Wichtig ist, dass ich selbst an einer Beerdigung nicht gestört werde von dem, was sonst in der Kirche läuft.

Du plädierst demnach für Mischformen?

Genau. Um die Vermischung geht es. Religion betrifft das ganze Leben, die ganze Gesellschaft. Deshalb mag ich Pfarrerinnen und Pfarrer, die sich über die Kirche hinaus für Politik, Sport und Kultur interessieren und sich einbringen.

Oft hast du nach einer Identifikationsfigur in der Bibel gefragt. Welche ist deine?

Jesus.

Hoppla, du gehst aufs Ganze.

Natürlich. Ich bin Schauspieler, da spielt man halt am liebsten die Hauptrolle. Und Jesus als Sprachrohr Gottes zu ver-körpern, das ist die ultimative Herausforderung.

Und was sagt das Sprachrohr Gottes?

Die Bibel ist eine Gebrauchsanweisung für das Menschsein. Nächstenliebe, Vergebung, nicht über andere urteilen: So funktioniert das Zusammenleben besser.

Die Bibel ist also noch immer aktuell?

Klar. Sie ist ein wertvoller Schatz an Einsichten und Geschichten. Eine Studie, welche Kinofilme auf biblischen Motiven basieren, wäre spannend. Es sind sicher extrem viele.

Quiz und Predigt

Die letzte Wettbewerbsfrage in der Ausgabe 6.2, an welcher Stelle die Bibel sagt, dass der Wein den Menschen froh mache, bezog sich auf Psalm 104, 15: «Und Wein, der des Menschen Herzen erfreut.»

Am 17. September hält Beat Schlatter auf Einladung von Andrea Bian­ca die Predigt im Bettagsgottesdienst in der Kirche Küsnacht.

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