Recherche 09. März 2017, von Beat Schlatter

«Vergebung ist nicht immer möglich»

Serie

Pfarrerin Yvonne Waldboth spricht mit Schauspieler Beat Schlatter über Vergebung und Gottesdienste, in denen sie sich vokommt wie in einer Fernsehshow.

Mit der S9 fahre ich nach Bülach. Die Strecke kenne im Schlaf. Ich fuhr sie oft während meiner Zeit bei der Fernsehserie «Lüthi und Blanc». In Glattfelden wartete jeweils ein Fahrer mit einer Klapperkiste. Heute nicht. Pfarrerin Yvonne Waldboth holt mich mit ihrem Auto ab, das einer Staatslimousine gleicht. Wir fahren zu ihrem Büro neben der Kirche.

Letzten Sonntag habe ich die Übertragung des reformierten Fernsehgottesdienstes angesehen. Es ging um Vergebung. Wenn jemand deine Schuhe stiehlt, gib ihm auch gleich noch deine Socken, oder so ähnlich. Soll ich also einfach hinnehmen, wenn mich jemand bestiehlt oder gar tätlich angreift?

Yvonne Waldboth: Ich war sieben Jahre Gefängnisseelsorgerin und dann zwölf Jahre Pfarrerin bei der Polizei. Nach meiner Erfahrung können Menschen, die Opfer einer solchen Tat geworden sind, erst wieder Tritt fassen, wenn sie das Ge­fühl haben, der Täter ist sich der Folgen seiner Tat bewusst. In der Bibel heisst es, man soll sieben mal siebzig Mal vergeben. Mir ist bewusst, dass man diese Hal­tung nicht einfach jemandem aufzwingen kann. Erinnern Sie sich noch an das Zuger Attentat im September 2001?

Natürlich. Der Vater einer Schauspielerkollegin von mir ist dabei umgekommen.

Damals wurde heftig diskutiert, ob man am Trauergottesdienst auch für den Attentäter Friedrich Leibacher eine Kerze anzünden darf. So kurz nach der Tat war dieses Zeichen falsch und ein Affront gegenüber den Opfern. Von ihnen wurde verlangt, dass sie noch mehr ertragen. Haben Opfer von Gewalttaten das Gefühl, dass ihr Leid nicht genügend anerkannt wird, wenn sie nicht betreut werden, wird Vergebung sehr schwierig, wenn nicht unmöglich. Manchmal muss man auch sagen, das ist jetzt passiert, vergeben kann ich trotzdem nicht.

Was halten Sie vom Fernsehgottesdienst? Glauben Sie, dass er die Leute davon abhält, in die Kirche zu gehen, weil sie es sich auch auf dem Sofa bequem machen können?

Unser Gottesdienst wird als Livestream im Internet übertragen. Es gibt Leute, die das sehr schätzen. Aber es gibt immer wieder hitzige Diskussionen, ob das ein sinnvolles Angebot ist. Es kam schon vor, dass bei einer Konfirmation Angehörige in Australien lebten. Dank der Übertragung konnten auch sie am Gottesdienst teilnehmen. Ich musste dann in die Kamera sagen: Good evening Australia. Ich kam mir vor wie in einer Fernsehshow.

Nun wie immer meine Quizfrage.

Jetzt schon? Wollen Sie keinen Witz hören wie in anderen Interviews?

Doch, gerne natürlich. Kennen Sie einen?

Zwei hochbetagte New Yorker Juden diskutieren über das Leben nach dem Tod. Da sie auf kein Ergebnis kommen, vereinbaren sie, dass der, der zuerst stirbt, sich meldet. Zwei Monate nach Rubens Tod läutet bei Moischele das Telefon. Ruben erzählt, was er jetzt den ganzen Tag macht: «Am Morgen stehe ich auf, gehe etwas spazieren, dann mache ich Liebe, dann gehe ich wieder spazieren, mache Liebe, dann wieder einen kleinen Spaziergang und dann wieder etwas Lie­be.» Moischele fragt erfreut: «Dann gibt es das Paradies also wirklich?» «Das weiss ich nicht», antwortet Ruben. «Ich bin jetzt ein Kaninchen in Iowa.»

Sehr schön. Jetzt also meine Schätzfrage: Wie viel Geld kam 2015 in der Zürcher Bettagskollekte zusammen?

111 111 Franken?

Wettbewerb

Hat die Pfarrerin recht? Schreiben Sie uns, wie viel Geld 2015 in der Zürcher Bettagskollekte zusammenkam: wettbewerb@reformiert.info oder reformiert.zürich, Preyergasse 13, Postfach, 8022 Zürich. Zu gewinnen gibt es zwei Tickets für die Mat­thäus-Passion von Bach mit der Kantorei St. Peter u. a. am 9. April in Zürich. Einsendeschluss: 24. März.

Die richtige Antwort auf die Frage in 2.2 lautet: 2015 wurden in der Zürcher Kirche zwei gleichgeschlechtliche Paare gesegnet.

Yvonne Waldboth (54)

Seit sechs Jahren ist Yvonne Wald­both Pfarrerin in Bülach. Die einstige Sprecherin beim «Wort zum Sonntag» war von 1999 bis 2011 Seelsorgerin für die Polizei und Rettungskräfte, zuvor war sie Gefängnisseelsorgerin. Yvonne Waldboth wohnt mit ihrer Partnerin in Bülach.