Recherche 09. Juni 2016, von Beat Schlatter

Würden Sie Hunde taufen?

Serie

Die Winterthurer Spitalpfarrerin Nicole De Lorenzi spricht mit Schauspieler Beat Schlatter über schwierige Bibelstellen, die Wut und Gottesdienste für Hunde.

Das Kantonsspital Winterthur betrete ich durch den Haupteingang und durchquere lange Korridore, bis ich die Spitalseelsorge finde. Ich blicke durch die halboffenen Türen. Auf dem Tisch der katholischen Seelsorge steht eine Flasche Rotwein. Auf dem Tisch der reformierten Seelsorge befinden sich ein Apfel und eine Flasche Mineralwasser. Immerhin mit Kohlensäure. Pfarrerin Nicole De Lorenzi begrüsst mich herzlich und bietet mir vom Mineralwasser an.
 
Ich war gerade fünf Tage in Stresa, wo ich mehrmals am Tag an einer wunderschönen Kirche vorbeispazierte. Gerne wäre ich hineingegangen, ich traute mich aber nicht, weil der Pfarrer seinen ausgewachsenen Schäferhund direkt vor der Kirchentüre angebunden hatte. Ist es gut, wenn Pfarrer Hunde haben?
Nicole De Lorenzi: Natürlich. Ein Pfarrer darf einen Hund haben. Keine Frage. Ich sehe da keine Spannungen.

Angenommen, ein Bedürftiger kommt zum Pfarrhaus, weil er eine warme Suppe möchte. Jetzt bellt ihn im Garten ein scharfer Hund an. Der Gast macht doch rechtsumkehrt.
Der Pfarrer muss seinen Hund halt einfach gut erziehen. Das ist entscheidend.

Sie denken beim Thema Hund eindeutig gross­zügiger als ich. Würden Sie denn auch Hunde taufen oder beerdigen?
Für viele Menschen ist das Haustier wichtig, für einzelne gleichgestellt mit anderen Menschen. Oder sogar noch etwas mehr. Das gilt es zu respektieren. Als Seelsorgerin interessiert mich, was diese Tiere dem Menschen geben können, was wir ihnen offenbar nicht geben können. Einen Taufgottesdienst für Hunde würde ich nicht machen. Tiere können nicht in die Gemeinde aufgenommen werden.

Von den Hunden zur Bibel. Welches finden Sie das langweiligste Kapitel in der Bibel?
Im Alten Testament sind es die langen Passagen, wo Familiennamen aufgezählt werden: Der Name von dem und dem ist soundso oder der Vater von jenem war der XY. Da schläft mir das Gesicht ein.

Und welche Bibelstelle verstehen Sie nicht?
Einige der Psalmen waren mir früher zu kriegerisch und zu deftig. Heute sehe ich das anders. Unser Leben ist auch deftig. Ich denke, diese Psalmen bringen es auf den Punkt. Auch Stellen, in denen es darum geht, Gott soll diesen oder jenen Feind umbringen, finde ich schwierig. Und ich verstand lange nicht, warum Jesus so wütend wird und alle Händler aus dem Tempel wirft. Ich dachte immer, dass Jesus doch sanftmütiger sein müsste und nicht so auf Leute losgehen darf.

Aber gehört nicht die Wut zu jenen Gefühlen, die wir viel zu wenig zeigen, weil wir uns dies nicht getrauen?
Stimmt. Heute erachte ich Wut als etwas Befreiendes. Im Spital wurde eine Patien­tin einmal unglaublich wütend wegen einer ärztlichen Diagnose. Sie wollte losschreien. Ich verstand sie gut und ging mit ihr in den Spitalpark. Sie schrie los. Das ist die fundamentale Aufgabe der Seelsorge: Menschen ernst zu nehmen in ihrer Wut und Trauer, Angst und Unsicherheit, aber auch in ihrer Freude. Wir müssen mit jemandem Gefühle aushalten und sie nicht vorschnell analysieren, diagnostizieren und wegrationalisieren. Einfach da sein, das ist anspruchsvoll.

Zum Schluss meine Wettbewerbsfrage: Wie viele reformierte Pfarrerinnen und Pfarrer sind im Kanton Zürich angestellt?
Wir von der Spezialseelsorge sind ungefähr hundert. Ich schätze, alle zusammen sind wir 400.

Nicole De Lorenzi, 40

Die Leiterin des reformierten Pfarramts am Kantonsspital Winterthur arbeitet daneben als Coach und Supervisorin mit Praxis in Zürich. De Lorenzi unterrichtet an der Hochschule ZHAW und an der höheren Fachhochschule ZAG und ist Mitglied des Ethikforums am Kantonsspital.

Wettbewerb

Hat die Pfarrerin recht oder nicht? Schreiben Sie uns, wie viele reformierte Pfarrer­innen und Pfarrer im Kanton Zürich angestellt sind: wettbewerb@reformiert.info oder reformiert. zürich, Preyergasse 13, Postfach, 8022 Zürich. Zu gewinnen gibt es zwei Übernachtungen mit Frühstück für zwei Personen (DZ) im Hotel Randolins in St. Moritz. Einsendeschluss: 8. 7. Mehr Informationen zum aktuellen Preis finden Sie hier. Die richtige Antwort auf die Frage in 5.2: «Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan» ist Matthäus 25, 40.

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