Recherche 09. September 2016, von Beat Schlatter

«Sonst beschäftige ich mich mehr mit Mails als mit Menschen»

Serie

Pfarrer Patrick Schwarzenbach erzählt Schauspieler Beat Schlatter von seiner Zeit im Wald und den Gefahren, die für einen Pfarrer im Büro lauern.

Man sagt von dir, du seist ein Pfarrer, der an das Limit geht. Du hast sogar eine Zeit lang im Wald gelebt.

Patrick Schwarzenbach: Ja, drei Monate.

Wie muss ich mir das vorstellen? Wo hast du geschlafen? Dein müdes Haupt neben einem Reh auf einen Flecken Moos gelegt und dich mit Laub und Tannenästen zugedeckt?

Gar nicht so. Ich habe in einem Daunenschlafsack unter einer Plache vor einer Hütte geschlafen. Die Hütte gehörte dem Militär, ich durfte sie während meines Aufenthalts nutzen. Dort habe ich meine Kleider und meine Bücher aufbewahrt.

Aha. Ich dachte du hättest im Wald wie einst die Eremiten gelebt und dich von wildem Honig und Heuschrecken ernährt.

Ich glaube nicht, dass mir Insekten schme­cken würden. Und wenn, müsste ich zuerst wissen, welche ich essen kann.

Was hast du dann gegessen? Einen Pizza-Kurier in den Wald bestellt?

Leute haben mir Essen gebracht. Feines Brot und selbst gemachte Kuchen.

Dein Einsiedlerleben entpuppt sich langsam als Aufenthalt im Schlaraffenland. Was hast du denn im Wald den ganzen Tag gemacht?

Ich habe gebetet und meditiert. Und es kamen sehr viele Leute vorbei. 380 Menschen suchten mit mir das Gespräch. Manchmal war ich auch tagelang allein, meistens wenn es regnete. Vieles hatte plötzlich Platz. Ich merkte, was ich noch alles in mir habe, und ich spürte auch, wie hart es sein kann, wenn man sich mit niemandem austauschen kann.

Ist es heute überhaupt möglich, als Pfarrer durch Feld und Wald zu ziehen und Menschen am klaren Bergbach mit frischem Quell­wasser zu taufen? Oder würde man in die psychiaterische Klinik gebracht?

Ich glaube, dass das noch möglich ist. Die Frage ist einfach, ob der herumpilgernde Pfarrer auf einem Egotrip ist oder ob sein Tun den Menschen wirklich hilft.

Unseren Namen bestimmen wir nicht selbst, das geben die Eltern vor. Aber hüpfte auf ­einer Wanderung plötzlich ein Pfarrer aus dem Gebüsch, würde ich die Gelegenheit beim Schopf packen und mich auf Honoré Francesco Maria Schlatter umtaufen lassen.

Solange es nur ein Pfarrer ist, der Umtaufen in freier Natur anbietet, bleibt die Kirche im Dorf. Bedenklich wird es, wenn plötzlich der ganze Wald voller Pfarrer ist, die mit einer Wasserpistole ahnungslose Wanderer umtaufen wollen.

Du bezeichnest dich als Pfarrer, der sich statt im Büro lieber auf der Strasse aufhält. Tja, wer tut das nicht? Gehst du also hier im Langstrasse-Quartier am Morgen in eine Bar, bezahlst der Stammkundschaft einen Cam­pari Orange und hörst dir ihre Probleme an?

So etwas mache ich wirklich nur ganz selten. Aber das Pfarramt ist ein Beruf, der gefährlich wird, sobald man zu viel Zeit im Büro verbringt. Die Gedanken beginnen immer mehr um die eigenen Themen zu kreisen, und man verbringt plötzlich mehr Zeit mit Mails als mit Menschen. Ich will nicht zu stark hinter den Mauern leben und mir den Kopf zerbrechen, wie ich die Leute in die Kirche bringe. Lieber bin ich draussen bei den Menschen, höre ihnen zu und überlege mir, wie und wo ich helfen kann. Die Kirche muss nahe bei den Leuten sein.

Meine Wettbewerbsfrage lautet heute: Auf was für einen Baum ist Zachäus hinaufgeklettert, als er Jesus sehen wollte?

Ich glaube, er kletterte auf einen Maulbeerbaum.

Wettbewerb

Hat der Pfarrer recht oder nicht? Schreiben Sie uns, welcher Baum es war: wettbewerb@reformiert.info oder reformiert.zürich, Preyergasse 13, Postfach, 8022 Zürich. Zu gewinnen gibt es zehn Tickets für das Mu­siktheater «L’histoire du soldat» (Strawinsky/Ramuz/Deutsch: Hans Reinhart), aufgeführt vom Musikkollegium Winterthur am 15. Oktober. Einsendeschluss: 23. September. Die Antwort auf die Frage in der Aus­gabe 7.2 lautet: 2015 wurden im Kanton Zürich 2903 Kinder reformiert getauft. Alles zur Serie «Schlatter fragt den Pfarrer» finden Sie hier.

Zu gewinnen: Konzert des Musikkollegiums

Igor Strawinsky war im Jahr 1914 mit seiner Familie an die Gestade des Lac Léman gezogen. Durch Vermittlung des Schweizer Dirigenten Ernest Ansermet lernte er den Waadtländer Dichter Charles-Ferdinand Ramuz kennen. Beide erwogen, «mit möglichst geringen Mitteln eine Wanderbühne zu gründen». Das war die Geburtsstunde von «L'histoire du soldat», einem aussergewöhnlichen Gesamtkunstwerk «en miniature». Die Uraufführung fand im September 1918 im Théâtre Municipal in Lausanne statt. Der Winterthurer Kunstmäzen Werner Reinhart unterstützte das Projekt finanziell, sein Bruder Hans Reinhart übertrug den Text von Ramuz ins Deutsche.

Diese Aufführung findet im Rahmen des Saisonsschwerpunkts «Rychenberger Gastbuch» des Musikkollegiums Winterthur statt, das einen Überblick über fünfzig Jahre Gastfreundschaft der Familie Reinhart in der Winterthurer Villa Rychenberg gewährt.

Neben Verwandten und Freunden trugen sich auch viele Künstlerpersönlichkeiten – vor allem Komponisten und Interpreten – mit Notenbeispielen, Versen, Zeichnungen und scherzhaften wie nachdenklichen Zeilen ins Gastbuch ein, sodass dieses fast ein halbes Jahrhundert (1903 bis 1951) des Winterthurer Musiklebens widerspiegelt. Obwohl die Hand Werner Reinharts im Gastbuch unsichtbar bleibt, steht er doch ab 1919 ganz im Zentrum eines Beziehungsgeflechtes von Künstlern, die er auf verschiedenste Weise förderte und unterstützte. Die Konzerte des Musikkollegiums, die Werner Reinhart grosszügig mitfinanzierte und zusammen mit dem bedeutenden Dirigenten Hermann Scherchen auch weitgehend programmierte, spielten dabei eine wichtige Rolle.