Seine Mutter heisst Maria. Zusammen mit seinem Vater Felix verliess sie einst Accra in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa. Hätte sie gewusst, dass sie schwanger war, hätte sie Ghana nie verlassen, sollte sie später sagen. Zu Fuss kämpfte sich das Paar durch die Sahara. Vater und Mutter wurden getrennt und mussten sich in verschiedenen Lastwagen der kriminellen Schlepper verstecken.
Siege im Stadion und Verlierer in der Welt
Nico Williams zählt an den Europameisterschaften zu den Überfliegern in der spanischen Nationalmannschaft. Die Fluchtgeschichte seiner Eltern erzählt von den Abgründen dieser Welt.
Nur für Basken
In der spanischen Enklave Melilla angekommen, kletterten Maria und Felix über den Grenzzaun. Wie viele andere wurden sie festgenommen. Ein Anwalt der Caritas riet ihnen, ihre Herkunft zu verschleiern und zu sagen, sie kämen aus dem kriegsversehrten Liberia. So landeten sie in Bilbao.
Im Baskenland kümmerte sich ein Pater um die junge Familie. Der älteste Sohn erhielt zu seinen Ehren seinen Namen: Iñaki. Der Pfarrer taufte ihn nicht nur, er nahm ihn auch ins Stadion zu den Spielen von Athletic Bilbao mit, dem Verein, der sich ununterbrochen in der obersten Liga hält, obwohl er nur Spieler einsetzt, die im Baskenland geboren oder in der Akademie eines baskischen Clubs ausgebildet wurden.
Auf den Spuren des Bruders
Neun Jahre nach Iñaki kam Nico zur Welt. Der Bruder wurde für ihn zur wichtigsten Bezugsperson. Der Vater war wegen besserer Verdienstmöglichkeiten nach London gezogen, die Mutter half mit Gelegenheitsjobs, die Familie über Wasser zu halten.
Mit dem ersten Lohn als Profifussballer kaufte Iñaki eine Wohnung und vereinte die Familie wieder in Bilbao. Nico folgte seinen Spuren. Er schaffte es sogar in die spanische Nationalmannschaft und gehört zu den gefeierten Spielern an der Europameisterschaft in Deutschland. Bei Athletic Bilbao spielt er weiterhin mit seinem Bruder zusammen, der für Ghana aufläuft.
Tränen in der Wüste
Die Geschichte von der Flucht der Eltern und der Fussballkarriere der Söhne wird jetzt gerne erzählt. Zuletzt etwa von der NZZ. Da war auch zu lesen, wie Nico einen Motorradausflug in die Wüste erinnerte, als die Familie ihre Ferien in Dubai verbrachte: «Es sollte lustig werden, doch als meine Mutter den Sand betrat, weinte sie.»
Maria erinnerte sich an die Märsche durch den heissen Wüstensand ohne Schuhe, die Fusssohlen der Eltern verbrannten und sind seither taub. Und sie dachte an die Menschen, die von den Schleppern ohne Wasser zurückgelassen wurden.
Reise der Hoffnung
Auch jetzt, da Nico Williams an den Europameisterschaften in Deutschland für seine Dribblings und Siege gefeiert wird, begeben sich unzählige Menschen auf jene Reise der Hoffnung, die so schrecklich viele Verlierer kennt.