Symbolpolitik und das Expertentum aller Bürger

Pandemie

Während selbst die vermeintlich exakte Wissenschaft zugibt, nicht jede Frage beantworten zu können, meinen selbst ernannte Experten, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben.

Die Reformation brachte uns das Priestertum aller Gläubigen. Die ersten Lockerungen des Lockdown bringen uns das Virologentum aller Bürger. Nun ist gegen aufgeklärte Bürgerinnen, die Studien hinterfragen und der Regierung auf die Finger schauen, nichts einzuwenden. Dumm ist nur, dass selten ein Dialog entsteht. Die Meinungsblasen bleiben hermetisch abgeriegelt.

Jeder Positionsbezug ist auch gleich ein Angriff. Panikmache, die Existenzen zerstört, lautet der Vorwurf der Lockerungsturbos, tödliche Verantwortungslosigkeit die Retourkutsche der Warner.

Quälende Unsicherheit

Niemand weiss genau, welche Auswirkungen eine Massnahme hat. Sicher ist nur, dass sie welche hat. Gute und schlechte. Umso wichtiger ist eine Debatte, die den Namen verdient. Nicht, um sich Vorwürfe um die Ohren zu hauen, sondern um abzuwägen zwischen Vorsicht und Risiko, Gesundheit und Wirtschaft, Schutz und Freiheit, Angst und Mut. Vertrauen erweckend wirken nicht Politiker, die um jeden Preis Führungsstärke markieren, sondern jene, die zugeben, nicht auf jede Frage eine Antwort zu wissen.

Die Unsicherheit ist kaum aus­zuhalten. Die vermeintlich exakte Wissenschaft liefert kein Rezept. Dafür wird Symbolpolitik wichtig. Soll ein Stück Normalität zurückkehren, wenn sich in leeren Stadien verschwitzte Fussballer gegenseitig umgrätschen, während der Bevölkerung eingeimpft wird, zwei Meter Abstand zu halten? Oder braucht es ein Maskenobligatorium, das signalisiert, dass wir uns in einer Ausnahmesituation befinden? Obwohl es medizinische Gründe für die auf mich ziemlich gruselig wirkende Gesichtsmaske geben mag, ist sie doch zuerst Symbol dafür, dass wir uns nicht auf die Art begegnen können, wie wir eigentlich möchten. Egal, ob die Maske zertifiziert ist oder selbst gehäkelt.

Heilsame Demut

Welche Symbolpolitik richtig ist und ob wir uns widersprüchliche Signale leisten können, darüber sollen wir streiten. Aber so, dass ich im Argument meines Kontrahenten eine Gelegenheit sehe, die eigene Haltung kritisch zu überprüfen. Ich soll ihn weder als wirtschaftshörigen Verharmloser diffamieren noch als freiheitsfeindlichen Nullrisiko-Fanatiker abstempeln.

Zugegeben: Ich schwanke. Aber der Wahrheit nähert sich nur, wer in Bewegung bleibt. Gläubige können ein Lied davon singen. Über Gott lässt sich nur unter dem Vorbehalt diskutieren, dass unserer Erkenntnis Grenzen gesetzt sind. Vielleicht täte der Corona-Debatte eine Prise von dieser Demut ganz gut.

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