Fürchten. Früher sassen da Menschen. Jetzt hängt ein Schild. Herumlungern, betteln und Alkohol konsumieren verboten und so weiter. Vor dem Einkaufszentrum in meiner Nachbarschaft haben sie gestört, die Männer, für die das Wort Randständige erfunden wurde. Jetzt sind sie weg. Irgendwo am Rand, wo sie offensichtlich hingehören. Die Begründung des Detailhändlers, zu dessen Konzern auch eine auf Billigbier spezialisierte Ladenkette gehört, die anscheinend nur das Geld, nicht aber die unliebsame Kundschaft behalten will, las ich in der Zeitung. Von «unhaltbaren Zuständen» erzählte eine Sprecherin da.Von Kunden, die Angst gehabt hätten und angepöbelt worden seien.
Vertreiben. Ich bin regelmässig mit meinen drei kleinen Kindern an denMännern vorbeigegangen. Gefürchtet habe ich mich nie, obwohl ich im Fürchten ziemlich gut bin. Meistens haben wir uns gegrüsst. Manchmal ergab sich ein Lachen. Kinder kümmern sich nicht um unsichtbare Grenzen. Gehe ich jetzt am Schild vorbei, schäme ich mich fremd. Herumlungern verboten: Wer nicht artigkonsumiert und funktioniert, mussverschwinden. Warum reagieren wirderart wehleidig und aggressiv auf Abweichungen von der Norm? Selbst wenn es Konflikte gibt, kann man doch versuchen, sie zu lösen, ohne gleich Menschen zu vertreiben.
Leben. Oft denke ich beim Vorbeigehen daran, wie gerne zurzeit vom christlichen Abendland schwadroniert wird. Beklagt wird dann, dassnach dem Räbeliechtliumzug aus Rücksicht auf muslimische Kinder keine Schweinswürstchen mehr verteilt werden. Oder dass – was ich übrigens idiotisch finde – in der Schule keine Weihnachtslieder mehr gesungen werden. Ja: Wir sollten die Geschichten des Glaubens erzählen und davon singen. Doch Werte müssen wir leben, wenn wir sie verteidigen wollen. Zum Beispiel, indem wir nicht herumlungernde Störefriede sehen, die uns die Konsumlaune verderben, sondern Menschen erkennen, die ihren Platz brauchen.In der Mitte statt am Rand. Der, zu dem ich bete, hätte sie jedenfalls nicht weggeschickt. Wenn sich die christlichen Werte in Schweinswürstchen und Kulturkampfreden erschöpfen –dann aber gute Nacht, Abendland!