Was für ein Durcheinander. Ein multikulturelles Publikum,das aus allen Himmelsrichtungen von Ägypten bis Phrygien und von Mesopotamien bis Libyen zusammengeströmt ist, lauscht an Pfingsten den Reden der Apostelinnen und Apostel, nachdem der Heilige Geist in einem Sturm als Feuerzungen auf sie niedergegangen ist. Alle in ihren eigenen Sprachen hören sie die Botschaft des Evangeliums.
Der ernüchternde Sturm
Die Apostelinnen und Apostel standen im Verdacht, betrunken zu sein. Der Spott, den die Bibel überliefert, ruft zur Selbstkritik auf, die Religion stets nötig hat.
Das Wunder unter Verdacht
Wunder sind verdächtig. Die vom Geist Beseelten seien «voll süssen Weins» (Apg 2,13), spotten die Skeptiker schon in der Bibel.
Der Rausch, die Ekstase sei «der Kern des religiösen Empfindens», sagte der Journalist Paul-Philipp Hanske kürzlich in «reformiert.». Heute würden die Umstehenden wohl sagen, die eloquenten Predigerinnen und Prediger seien auf einem besonders krassen Trip.
Vom Kern des Glaubens
Religion kann die Sinne trüben. Die Ekstase droht allerdings in eine Innerlichkeit zu kippen, die den Blick für die Mitmenschen verstellt. Wer in den Evangelien liest, was Jesus erzählt und wie er gehandelt hat, kann unschwer erkennen, dass sich der Glaube nie im zwischen Selbst- und Gotteserfahrung oszillierenden Rausch erschöpfen kann.
«Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit all deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand, und deinen Nächsten wie dich selbst» (Lk 10,27): So wird im Prolog zur Geschichte vom barmherzigen Samariter das Gesetz definiert.
Natürlich sollen persönliche Gotteserfahrung und Kontemplation nicht gegen gelebte Nächstenliebe ausgespielt werden. Aber die Diakonie, verstanden als Dienst an den Mitmenschen und als Versuch, aus dieser Welt einen besseren Ort zu machen, ist keine im Zeitgeist verwässerte Form des Glaubens, sondern dessen Kern.
Von der Macht besoffen
Unabhängig von der Ekstase kennt die religiöse Trunkenheit viele Facetten. Fundamentalistinnen und Fundamentalisten betrinken sich besinnungslos an der Wahrheit, die sie für sich gepachtet zu haben glauben, bis ihr Rausch in der Aggression endet.
Auch ganz nüchtern wirkende Institutionen sind nicht gefeit vor Trunkenheit. Besoffen von der eigenen Macht, werden Hierarchien gepflegt und mit theologisch längst widerlegten Argumenten Ungleichheiten zementiert. Beschwipst von Privilegien, klammern sich Organisationen an ihre überholten Strukturen, statt sie aufzubrechen und den Notwendigkeiten der Zeit und den Nöten der Menschen anzupassen.
Die grossen Taten Gottes
Die Apostelinnen und Apostel hingegen sind nicht betrunken. Sie lallen nicht selbstgefällig daher. Stattdessen berichten sie «von den grossen Taten Gottes» (Apg 2,11). Und sie werden verstanden.
Die Verheissung des Pfingstwunders besteht darin, dass Gott mit seinem Wort jeden Menschen immer wieder neu anspricht. Und es zeigt sich auch im heilsamen Sturm, der verkrustete Denkmuster aufbricht und lieb gewonnene Trugbilder hinwegfegt.
Viele Sprachen sprechen
Zum Auftrag, der aus der Apostelgeschichte erwächst, gehört das Ringen um eine Sprache, die verstanden wird. Um sie immer wieder neu zu finden, braucht es den nüchtern wissenschaftlichen Blick der Theologie ebenso wie die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.
Die Verkündigung des Evangeliums braucht keine Einheitssprache. Um Gottes Spuren in der Welt zum Leuchten zu bringen, sind vielmehr unterschiedliche Sprachen gefragt, sich ergänzende Ausdrucksformen des Glaubens. Und es braucht in verschiedenen Traditionen gewachsene Kirchen, die in ihrer Vielfalt und ihrem Willen zur Verständigung jene auf Christus bauende Kirche ausmachen, die an Pfingsten aus der Taufe gehoben wurde.