Meinung 11. Januar 2023, von Cornelia Krause

Der Glockenstreit im Kinderzimmer

Schlusspunkt

Die Spielwelt daheim kommt der Realität manchmal erstaunlich nah. Auch wenn der Nachwuchs eigentlich keine Ahnung hat von Kirchenraumentwicklung und Denkmalschutz.

Gerade lagen sie wieder unter dem Weihnachtsbaum: Fahrzeuge in Miniatur, Bücher und Spiele, die bald darauf Platz in der stetig schrumpfenden Wohnung fordern. So sehr mir Spielsachen beim Aufräumen ein Dorn im Auge sind, so sehr habe ich einige zu schätzen gelernt, weil sie nachhaltig den Nachwuchs beschäftigen. Bei uns sind das Holzeisenbahn, Kinderküche und Playmobil-Kirche. Wie Sacré-Coeur über Paris thront Letztere auf dem Regal über dem Kinderzimmer-Chaos.

Als ich die Kirche das erste Mal bei einer befreundeten Katechetin sah, war ich überrascht: Wie reiht sich ein Sakralgebäude ins Sortiment des Herstellers ein – zwischen Westernstädten, Feenwelten und Space-Missionen? Aber Playmobil setzt natürlich weniger auf religiöse Kundschaft als auf romantische Mädchenträume. Es handelt sich um eine Hochzeitskirche. Auf Knopfdruck gibt es Glockengeläut oder Hochzeitsmarsch.

Meine Tochter hatte so viel Freude daran, dass ich ihr irgendwann eine eigene Kirche schenkte. Insgeheim hoffte ich wohl auch, ihr Kirchenräume spielerisch nahezubringen. Es fasziniert mich immer wieder, wie unvoreingenommen Kinder bei uns mit der Kirche spielen und wie nah wir der Realität kommen. Auch bei uns ist die Zahl der Eheschliessungen stark zurückgegangen. Sonntagsgottesdienste finden selten statt. Vielmehr ist die Kirche zum Begegnungsort geworden. Von in der Schule gebastelten Trollen, Feen und anderen Figuren. Feste werden in ihr gefeiert, halb erfrorene Skifahrer haben in ihr schon Schutz gesucht, als sie den Weg zur Alphütte nicht mehr fanden.

Kirchenraumentwickler hätten ihre Freude an dieser Multifunktionalität. Allerdings steht auch bei uns das Inventar unter (meinem) Denkmalschutz. Akribisch wache ich darüber, dass Bänke, Kerzen, Orgel, Hahn und Altar nur temporär eingelagert werden, aber keinesfalls dem Staubsauger zum Opfer fallen. Denn viele Einzelteile lassen sich schon nicht mehr nachbestellen. Für meinen Sohn hat die Spielkirche eine andere Bedeutung als für die ältere Tochter. Er ist fasziniert von Kirchtürmen. Den Klang der Glocken unserer Quartierkirche nimmt er selbst durch das gut isolierte Fenster wahr. Das Geläut aus dem Kin-derzimmer begleitet uns durch den Tag. Manchmal sorgt es auch gehörig für Zwist. Etwa, wenn der Dreijährige am Wochenende um sechs Uhr früh damit den Tag beginnen will.

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