Damit die Kirche im Dorf bleibt

Zürich

Die Gegner der Teilrevision der Kirchenordnung warnen vor Bürokratie und Zentralismus. Und sie sehen die Kirche im Dorf bedroht.

Ivan Walther fühlt sich an den Turmbau zu Babel erinnert. Der Pfarrer von Urdorf, der seit einem Jahr in der Synode sitzt, warnt vor «Grössenwahn und Machtkämpfen», wenn sich 31 Stadtzürcher Gemeinden zusammenschliessen und im Kanton weitere grosse Gemeinden entstehen. Von einer «Monstergemeinde» hatte er im Kirchenparlament mit Blick auf Zürich einmal gesprochen.

Regeln für Kasualien gelockert

Der bereits weit fortgeschrittene Fusionsprozess in der Stadt Zürich machte es unter anderem nötig, dass die Kirchenordnung überarbeitet wurde. Die Stadtzürcher wollen schon 2019 fusionieren und ein Kirchenparlament einführen.

Hinzu kommen Anpassungen im Zuge der vom Kirchenrat angestossenen Strukturreform oder die Einführung des Kirchgemeindeschreibers als mögliche Funktion innerhalb einer Gemeinde. Gerade die Institutionalisierung dieser Stelle führe zu einer Professionalisierung, welche die Kirche bürokratischer und unpersönlicher mache, kritisieren die Gegner der Teilrevision.

Zudem sollen nach der Teilrevision Wünsche von Kirchenmitgliedern, Hochzeiten, Taufen oder Abdankungen ausserhalb der Kirche abzuhalten, von Pfarrerinnen und Pfarrern nicht einfach mit dem Hinweis abgelehnt werden können, dass die Feiern «in der Regel» in der Kirche stattfinden. So steht es in der aktuellen Fassung der Kirchenordnung. Dass das Sakrament der Taufe nicht zwingend im Gemeindegottesdienst vollzogen werden muss, hatte bereits in der Synode für kontroverse Diskussionen gesorgt.

Denkzettel für die Zürcher

Wenn die Reformierten im Kanton nun am 23. September die Teilrevision bachab schicken sollten, wäre das «ein Denkzettel für die Macher in der Stadt Zürich», sagte Peter Schmid. Der Synodale aus Bäretswil führte am 23. August durch die Medienkonferenz, zu der das Komitee gegen die von Synode und Kirchenrat beschlossene Teilrevision der Kirchenordnung eingeladen hatte.

Für Schmid wäre es ein verdienter Denkzettel, weil mit den Kirchenkreisen eine Zwischenebene eingebaut worden sei, von der bei der Abstimmung keine Rede gewesen war. Die Stadtzürcher hatten einer Fusion an der Urne deutlich zugestimmt.

Schlag ins Gesicht der Landbevölkerung

Besonders umstritten an der überarbeiteten Kirchenordnung ist die Zuteilung der Pfarrstellen. Der Kirchenrat wollte mehr Gerechtigkeit und schaffte die befristeten Ergänzungspfarrstellen ab. Kirchgemeinden mit mehr als 2000 Mitgliedern erhalten etwas mehr Stellenprozente, um ihr Profil differenzieren und auf unterschiedliche Lebenswelten ausrichten zu können.

Das neue System ist zwar berechenbarer, für Adrian Honegger aber «ein Schlag ins Gesicht der Landgemeinden». Gemeinden mit 1100 bis 2000 Mitgliedern wären von «massiven Kürzungen» betroffen, sagte der Synodale und Sekretär des Stadtverbands von Winterthur. In kleinen Gemeinden koordiniere der Pfarrer auch die Freiwilligenarbeit und könne nicht auf die Unterstützung von professionellen Mitarbeitern zählen wie die Kollegen in der Stadt.

Für das Überleben der Gemeinde sei der regelmässige Gottesdienst entscheidend, sagte Honegger. «Und der Aufwand dafür ist gleich gross, egal ob der Pfarrer einer Gemeinde mit 800 oder mit 8000 Mitgliedern vorsteht.»

Getrübte Freude am Wort Gottes

Auch Carola Heller aus Fischenthal betonte die Wichtigkeit des Gottesdienstes für das Gemeindeleben. Kaum jemand gehe ins Nachbardorf in die Kirche. Also sei nach Fusionen zuerst einmal warten angesagt, bis wieder einmal die eigene Pfarrerin oder der eigene Pfarrer im Dorf predige. «Dies dämpft die Freude an Gottes Wort.» Und vor allem unterhöhle es die Disziplin, regelmässig in die Kirche zu gehen und die Woche mit dem Hören auf das Evangelium zu beginnen.

Heller befürchtet Massenaustritte, wenn auf dem Land nicht mehr genug Pfarrstellen zur Verfügung stehen. Denn für Kontakte und Angebote über die Grundversorgung hinaus fehle es den Teilzeitpfarrern dann an Zeit. «Soziale Verarmung beobachte ich schon lange in den Städten, muss dies nun auch in den Dörfern stattfinden?»

Leere Stadtkirchen und soziales Dorfleben

Heller, die ebenfalls in der Synode sitzt, kritisierte die Lockerung der Vorgaben für Hochzeiten, Abdankungen und Taufen. Diese Gottesdienste müssten in der Kirche stattfinden, denn schliesslich seien sie öffentlich. «Im Dorf nehmen wir noch Anteil.»

Von seinen Erfahrungen in der Stadt wiederum berichtete der pensionierte Pfarrer Ueli Schwendener. Und die Erfahrungen sind nicht gut. «Die Menschen, welche die Kirche heute tragen, werden bei Fusionen vernachlässigt.» Leere Kirchen in der Stadt seien die Folge.

Schwendener verwies auch darauf, dass die Gruppe der 20 bis 30-Jährigen in vielen Stadtgemeinden relativ gross sei. Die jungen Leute kämen zum Studium oder für eine Lehre aus den Dörfern in die Stadt. «Wenn die Kirche nun auf dem Land spart, kappt sie den Zustrom für neue Mitglieder.»

Vom Land lernen

Für Schmid müssen die Impulse für die «nötige geistige Erneuerung der Kirche» ohnehin vom Land kommen. Dort seien die Gemeinden noch lebendig und die Säkularisierung weniger weit fortgeschritten. «Mit einem Nein bekommen Kirchenrat und Synode Zeit, eine besser austarierte Reform auszuarbeiten.» Diese Vorlage sei noch nicht reif.

Für Walther ist die Abstimmung auch ein  Plebiszit zu Kirchgemeindeplus: «Erstmals kann das Volk sagen, was es von Fusionen hält.» Der Kirchenrat habe es verpasst, unbestrittene von umstrittenen Neuerungen zu trennen. Die Folge seien «tiefe Gräben in unserer Kirche». Bereits die Neinstimmen in der Synode hätten darauf hingedeutet.

Die Synode stimmte zu

Die Synode hatte der Teilrevision der Kirchenordnung mit 71 Ja zu 23 Nein zugestimmt. Am 21. August hatte der Kirchenrat zusammen mit der Präsidentin der Finanzkommission den Medien seine Sicht auf die überarbeitete Kirchenordnung präsentiert.