Die Strukturen der Zeit anpassen

Zürich

Den Wandel intelligent managen, will der Zürcher Kirchenrat mit der Teilrevision der Kirchenordnung. An einer Pressekonferenz informierte er über die Vorlage.

«Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten Mitglieder verloren, doch wir haben Relevanz behalten», sagte Kirchenrat Andrea Bianca am 21. August vor den Medien. Zusammen mit Kirchenratspräsident Michel Müller und Margrit Hugentobler, die in der Synode die Finanzkommission präsidiert, warb er für ein Ja zur Teilrevision der Kirchenordnung. Um diese Relevanz zu behalten und dem Mitgliederschwund zu begegnen, müsse die Kirche bei den Passiven aktiver werden.

«Von den Kirchenaustritten profitieren nicht die Freikirchen, sondern die Gruppe der Konfessionslosen wächst», betonte Bianca. Mit der Teilrevision reagiere der Kirchenrat auf diesen Befund, indem er sich stärker um die austrittsgefährdeten Mitglieder bemüht. Zum Beispiel, indem alle Mitglieder die Zeitung «reformiert.» erhalten und die lokale Kirchenpflege das Blatt nicht mehr für die ganze Gemeinde abbestellen kann. Damit würden die Leserinnen und Leser selbst entscheiden können, ob sie die Mitgliederzeitung im Briefkasten wollen. Oder indem ein kantonales Mitgliederregister erlaubt, Menschen ausserhalb der aktiven Gemeinde gezielt anzusprechen, beispielsweise mit einer Einladung zur goldenen Konfirmation.

Auf Wünsche eingehen

Einen wichtigen Paradigmenwechsel erkennt Bianca bei den Kasualien. Die Änderung in der Kirchenordnung ist nicht spektakulär, für den Küsnachter Pfarrer hat sie es trotzdem in sich. So sagt die Kirchenordnung nicht mehr einfach, Hochzeiten und Abdankungen hätten «in der Regel» in der Kirche stattzufinden und lässt so bereits eine Hintertür für Ausnahmen offen. Neu können die Pfarrerinnen und Pfarrer in «begründeten Fällen» auch ausserhalb der Kirche Paare trauen und Verstorbene bestatten.

Die Begründung ist für Bianca entscheidend: «Pfarrerinnen und Pfarrer müssen sich den begründeten Wünschen der Menschen stellen und können sich nicht mehr einfach hinter einer Regel verstecken.» Im reformierten Verständnis sei nicht der Ort einer Trauung oder einer Abdankung entscheidend, sondern dass die Feier einen Gottesdienstcharakter habe.

Taufe als Familienfeier

Die sanfte Liberalisierung betrifft auch die Taufe. Und hier ist der Schritt theologisch eher umstritten, weil es sich bei der Taufe um ein Sakrament handelt und es auch um die Aufnahme des Kindes in die Gemeinde geht. Bianca begegnet den Bedenken mit einer rhetorischen Frage: «Sind Eltern und Grosseltern, Götti, Gotte und Freunde vielleicht nicht eher eine Gemeinde als Gottesdienstbesucher, die sich über das Kindsgeschrei ärgern?»

Die Tradition, dass im Sonntagsgottesdienst getauft wird, sei 100 Jahre jung und gehöre nicht zum Erbe der Reformation. Zudem blieben auch mit der überarbeiteten Kirchenordnung Gottesdienstcharakter und Wasser für die Taufe entscheidend.

Gerechter und steuerbar

Kirchenratspräsident Michel Müller blieb es vorbehalten, über die umstrittendste Neuerung zu informieren. Neu geregelt wird, welche Gemeinden wie viele Pfarrstellen zugesprochen bekommen. In der Kirchenordnung von 2010 sei das «staatliche, unflexible Modell einfach verkirchlicht» worden, sagte Müller. Das neue System sei «gerechter und durch die Synode steuerbar». Das Parlament legt nämlich nicht mehr einfach die Lohnsumme fest, sondern die Pfarrstellenprozent pro Anzahl Mitglieder.

Damit werde eine Forderung der Synode, insbesondere der Finanzkommission erfüllt, bestätigte Margrit Hugentobler, die eben diese Parlamentskommission präsidiert. «Im Abstimmungskampf wird nun ein Verteilkampf heraufbeschworen, aber eigentlich geht es nur darum, die Strukturen an die veränderten Bedingungen anzupassen.»

Die Synode hat eine vom Kirchenrat als Übergangsregelung gedachte Bestimmung in ihrer Beratung zum Gesetz erhoben. Jeder Kirchgemeinde werden 50 Pfarrstellenprozent garantiert, egal, wie klein sie auch sein mag. Weitere laut Hugentobler «sehr grosszügige» Übergangsbestimmungen, die Härtefälle abfedern sollen, gelten bis 2024.

Alle werden ordentlich

Indem der Unterschied zwischen ordentlichen Pfarrstellen und Ergänzungspfarrstellen, die der Kirchenrat aufgrund von Gesuchen aus den Gemeinden bewilligt, abgeschafft werde, erfülle der Kirchenrat zudem einen langjährigen Wunsch der Pfarrschaft, sagte Müller. Ergänzungspfarrstellen waren zeitlich befristet und oft Teilzeitstellen, weshalb vor allem Frauen von diesem unsicheren Status betroffen waren.

Freilich hat der Kirchenrat einen kleinen Bonus für Gemeinden mit mehr als 2000 Mitgliedern eingebaut, die etwas mehr Stellenprozente erhalten. In solchen Gemeinden gelingt es laut Kirchenrat am besten, das Profil zu differenzieren und neue Formen des Gemeindelebens zu erproben. «In grösseren Gemeinden ist die pfarramtliche Arbeit zudem besonders anspruchsvoll, weil Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten angesprochen werden müssen», sagte Müller. Wichtig sei auch, dass die Kirche im urbanen Raum präsent bleibe.

Mit der Teilrevision der Kirchenordnung will der Kirchenrat «den Wandel intelligent gestalten, indem Bewährtes behalten und Neues entwickelt wird», sagte Müller. Im Verfassungsbereich gebe es keine Änderungen. «Die Bestimmungen sind gut.»

Warum Zürich die Revision braucht

Margrit Hugentobler betonte, dass die Stadt Zürich, die bereits im nächsten Jahr aus 31 Gemeinden eine Gemeinde machen will, zwingend auf die Teilrevision angewiesen ist. Denn sie ermöglicht erst die Schaffung eines Parlaments. Das Pfarrkapitel der Stadt Zürich ünterstützt die Vorlage.

Die kontrovers diskutierte Strukturreform Kirchgemeindeplus hingegen sei auch mit einem Nein zur Teilrevision nicht aufzuhalten, sagte Müller. «Dieser Prozess ist ja bereits im Gang, weil Gemeinden zusammenarbeiten wollen.» Ein Ja zwinge keine Gemeinde zur Fusion. «Aber die Zustimmung ermöglicht, den Fusionsprozess geordnet zu vollziehen, weil wir die nötigen gesetzlichen Instrumente erhalten.»

Überhaupt sei die Teilrevision eigentlich ein gesetzlicher Nachvollzug von Veränderungen, die in der Realität schon wirksam seien. So gebe zum Beispiel die Funktion des Kirchgemeindeschreibers bereits in grösseren Gemeinden als professionelle Entlastung für die Kirchenpflege. «Die Kirchenorndung klärt nun Stellenprofil und Besoldung und verhindert, dass die Stelle unter einem anderen Titel irgendwo versteckt werden muss.» Und auch hier gelte: «Keine Gemeinde wird gezwungen, eine Kirchgemeindeschreiberin anzustellen.» Es gehe nur darum, Möglichkeiten zu schaffen.

Abstimmungskampf lanciert

Über die Kirchenordnung wird am 23. September abgestimmt. Stimmberechtigt sind alle Reformierten ab 16 Jahren, egal, welchen Pass sie besitzen.

Die Synode hatte die Teilrevision mit grosser Mehrheit verabschiedet. Gegen die Vorlage hat sich ein Komitee aus Pfarrschaft und Synode gebildet, das am 23. August zur Pressekonferenz geladen hat. Der Kirchenrat informiert an mehreren Veranstaltungen im Kanton über die Vorlage.