«Eine Gewitterfront ist im Anzug.» Mit diesen Worten leitete Andreas Hurter, Präsident des reformierten Stadtverbandes, die kurzfristig anberaumte Medienorientierung vom 31. August ein. Genau genommen war das ein bisschen schöngeredet. Denn das Gewitter ist schon vor fast drei Monaten ausgebrochen. Hirzenbach und Witikon, die einzigen Kirchgemeinden, die bei der Fusion nicht mitmachen und autonom bleiben, haben am 19. Juni einen folgenschweren Rekurs eingereicht.
Kirchgemeinde ohne Stadtverband geplant
Die Einsprache richtet sich gegen den Entscheid des Kirchenrats der Landeskirche zur Auflösung des Reformierten Stadtverbands. Die für den 1. Januar 2019 beschlossene Auflösung sei nicht rechtsgültig, weil es gemäss den Statuten des Stadtverbandes dafür die Zustimmung sämtlicher Mitgliedsgemeinden brauche, argumentieren die Rekurrenten.
Damit ist völlig offen, ob die Grosskirchgemeinde wie geplant am 1. Januar 2019 gegründet werden kann. Denn zeitgleich mit der Fusion ist auch die Auflösung des Stadtverbands vorgesehen. Anstelle der Zentralkirchenpflege, der heutigen Legislative, soll ein Kirchenparlament treten. Der im Juni mit Blick auf die neue Kirchgemeinde bestellte Vorstand des Stadtverbandes soll als Übergangskirchenpflege die Exekutive bilden. Die administrativen Aufgaben des Verbands soll die Geschäftsstelle der neuen Kirchgemeinde Zürich übernehmen.
Zurück an den Verhandlungstisch
Hintergrund für den Rekurs ist vor allem das Geld. Streitpunkte sind zum Beispiel die Ansprüche am städtischen Steuerertrag und am kirchlichen Vermögen. Hirzenbach und Witikon haben gemäss Hurter eine eher tiefe Steuerkraft, da auf ihrem Gebiet relativ wenige Unternehmen ihren Sitz haben: «Sie profitierten vom solidarischen Grundgedanken, dass der Stärkere dem Schwächeren hilft.»
Auch im organisatorischen Bereich könnte es künftig teuer werden für die beiden Kirchgemeinden. Der Stadtverband hat für die Gemeinden viele Dienstleistungen etwa im Bereich Liegenschaftsverwaltung, Personaladministration, Kommunikation oder IT erbracht.
Erste Verhandlungen um diese offenen Fragen sind laut Hurter gescheitert. Nun aber sollen die Gespräche mit Hochdruck und in neuem Rahmen wieder aufgenommen werden. «Wir kehren mit Schwung und Energie zurück an den Verhandlungstisch», so der Stadtverbandspräsident. Das oberste Ziel sei, eine für alle faire Lösung zu finden.
Noch hoffen die Fusionsverantwortlichen, dass die beiden Kirchgemeinden den Rekurs zurückziehen. Bei der Rekurskommission der reformierten Landeskirche konnte der Stadtverband zudem seinen Standpunkt darlegen. Er plädierte für Nichteintreten beziehungsweise für den Entzug der aufschiebenden Wirkung. Letzteres will heissen: Der Stadtverband könnte plangemäss aufgelöst werden, auch wenn das Rechtsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Am wichtigsten ist für Hurter aber: «Wir möchten unbedingt langwierige und kostspieligen Rechtsstreite verhindern.»
Mehrere Szenarien verfolgen
Trotz der Bemühungen um eine einvernehmlich Lösung haben die Fusionsverantwortlichen schon alternative Szenarien entwickelt. Eines davon ist, die Kirchgemeinde Zürich wie vorgesehen zu gründen, auch wenn der Stadtverband nicht aufgelöst werden kann. «Besteht der Stadtverband nach der Fusion weiter, ist das aber mit erheblichen Doppelspurigkeiten verbunden», gab Hurter zu bedenken. Zudem wäre die neue Kirchgemeinde finanziell kaum handlungsfähig, da über grössere Finanzgeschäfte weiterhin der Stadtverband entscheiden müsste.
Vor allem aber käme es bei dieser Lösung zu absurden Mehrheitsverhältnissen. In der Zentralkirchenpflege wären Hirzenbach mit rund 1600 und Witikon mit etwa 3200 Mitgliedern wie bisher mit je zwei Stimmen vertreten. Die neue Mega-Kirchgemeinde mit 80'000 Mitgliedern hingegen hätte aufgrund der geltenden Statuten nur drei Stimmen. Wahrscheinlicher dürfte ein anderes Vorgehen sein: Den Status Quo vorerst beibehalten und die Fusion aufschieben, bis alle offenen Fragen geklärt sind.
Auf Kurs bleiben
Die neusten Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf die Abstimmung über die neue Kirchgemeindeordnung vom 25. November. Darin ist der 1. Januar 2019 als Fusionsdatum festgehalten. Zum einen wird überlegt, die Abstimmung zu verschieben. Zum anderen soll die Zentralkirchenpflege an ihrer Sitzung vom 19. September prüfen, ob die von ihr schon verabschiedete Kirchgemeindeordnung durch einen Passus ergänzt und die Kompetenz für den Zeitpunkt der Gründung dem Verbandsvorstand übertragen werden kann.
Trotz Gegenwind: Die Fusionsverantwortlichen zeigten sich an der Medienorientierung entschlossen, den Reformprozess unbeirrt voranzubringen. «Das entspricht dem klaren Auftrag, den uns die reformierten Stimmberechtigten im September 2014 gegeben haben», betonte Hurter.