«Daddy Lessons» betitelte Beyoncé ihre Versöhnung mit dem Vater. Ein bisschen klang der Song auch nach einem Friedensangebot der Texanerin an ihr Vaterland. The Dixie Chicks spielten Song auf ihrer Tour und unterstützten Beyoncé beim Auftritt an den Country Music Association Awards in Nashville.
Die Rückeroberung
Popstar Beyoncé sammelt Grammy-Auszeichnungen wie andere Leute Panini-Bilder. Mit «Cowboy Carter» nimmt sie Revanche am Country-Genre und führt musikalische Grenzen ad absurdum.
Weil Beyoncé eigentlich immer gewinnt, wenn sie antritt, tobte der Saal. Es schien, als ob sich sie bald auch den Grammy in der weiss dominierten Sparte in die Vitrine stellen könnte. Doch «Daddy Lessons» wurde nicht zur Auswahl zugelassen, weil der Song nicht apart in die Country-Schublade passte.
Popmusik ist ein Schwamm
Nun sind Spartengrenzen, wie sie die Grammy-Preise ziehen, ohnehin absurd. Musik ist ein Schwamm, der verschiedenste Einflüsse aufsaugt. Dafür steht auf Beyoncés neuem Album «Cowboy Carter» exemplarisch der übermütige Rodeo «Spaghettii». Darin hat sinnigerweise Linda Martell einen Gastauftritt.
Gottesdienst mit Beyoncé
Die Musik von Beyoncé, die sich mehrfach zu ihrem Glauben bekannte, hat auch Christinnen und Christen inspiriert. In San Francisco werden in der Grace Cathedral Gottesdienste gefeiert, in denen der Gospelchor ausschliesslich ihre Songs interpretiert. Damit sollen insbesondere Frauen angesprochen werden. Beyoncé verkörpere eine «emanzipatorische Spiritualität», sagt die Pfarrerin Yolanda Norton. Der Pfarrer Jude Harmon erklärt, der Gottesdienst ziehe Angehörige von Minderheiten an, deren Stimme oft zu wenig gehört werde. Er hält Beyoncé für eine «bessere Theologin als viele Priester unserer Kirche».
Die 82-jährige Sängerin zog sich nach einem erfolgreichen Country-Album nicht zuletzt deshalb auf den Beruf als Lehrerin zurück, weil sie unter Rassismus gelitten hatte. Die amerikanische Musikgeschichte erzählt eben auch von einer kulturellen Aneignung, die schwarze Musikerinnen und Musiker marginalisiert. Insbesondere im Country wurde ihr Einfluss totgeschwiegen.
Durst nach Gemeinschaft
Ihre kreative Rückeroberung gestartet hatte Beyoncé mit dem Hit «Texas Hold ’Em». Als erste schwarze Frau setzte sie sich mit der Single an die Spitze der Hot-Country-Songs-Charts von «Billboard».
«Cowboy Carter» gehört zu einer Trilogie, mit der Beyoncé die Wurzeln der amerikanischen Musik freilegen will. Den Anfang machte «Renaissance», eine Hommage an schwarze und queere Pioniere der Tanzmusik. Im dazugehörigen Dokumentarfilm sagt Beyoncé, ihre Konzerte sollen Schutzräume sein, in denen verschiedenste Menschen sich selbst sein und den «Durst nach Gemeinschaft» stillen können.
Country gibt es nicht
Der Soziologe und Baptistenprediger Michael Eric Dyson bezeichnete Beyoncé in der «New York Times» als «so etwas wie eine religiöse Prophetin». An Konzerten ereigne sich, was im Gottesdienst geschehen soll: «der heilige Lobpreis in Dankbarkeit für die Vielfalt».
Diversität ist auch das Leitmotiv auf dem neuen Konzeptalbum. Beyoncé erteilt nicht zuletzt mit der Unterstützung von Säulenheiligen des Countrygenres eine Lektion in musikalischer Freiheit. Mit souveräner Leichtigkeit holt sie sich die Countrymusik zurück und entlarvt sie dabei als Konstrukt.