Unverfroren fromm

Musik

Nina Hagen hat sich auch im Glauben die Unverfrorenheit des Punk bewahrt. Auf «Unity» vereint sie kraft ihrer Stimme die unterschiedlichsten Stile und klingt erstaunlich aktuell.

Ein bisschen klingt das Lied nach Jugendgottesdienst. Und ein wenig nach Reinhard Mey. Und natürlich trieft der ins Deutsche übertragene Text von Bob Dylan derart vom vertrauten Pathos, dass er die Kitschgrenze kratzt.

Trotzdem: Wie Nina Hagen «Die Antwort weiss ganz allein der Wind» interpretiert, berührt. Da sind das kluge Arrangement, das die Lagerfeuerromantik mit Störgeräuschen bricht, die leise, dann wieder kräftige, immer unverkennbare Stimme von Nina Hagen. Im Refrain wird sie zur Schlumpfstimme, ein Witz fern jeder Ironie.

Einheit in Vielfalt

Erstmals seit zwölf Jahren hat Nina Hagen wieder ein Album veröffentlicht. «Unity» heisst es, und der Titel ist Programm. Musikalisch vereint die Künstlerin fiebrigen Dub-Reggae («Unity») und hallenden Country («16 Tons»), mischt fiepsenden Funk («United Women of the World») mit einem mutig schlichten Duett mit Bob Geldof («Doesn’t Matter Now»). Die Einheit verdankt Hagen ihrem Gespür für Gegensätze und ihrer Stimme, die so viel aushält und zusammenhält.

Hagen hat es mittlerweile geschafft, hinter ihrer eigenen Inszenierung zu verschwinden. In den Zoom-Interviews, die sie vor der Veröffentlichung des Albums gegeben hatte, liess sie die Kamera ausgeschaltet. In Videos tritt sie nicht mehr auf. Sei sie nicht gerade gestylt zu einem Auftritt unterwegs, werde sie auf der Strasse nicht erkannt, sagt sie.

Getragen im finsteren Tal

Ins Zentrum ihrer Musik stellt Hagen ihren Glauben und damit die Botschaft: Gott und Liebe. In einem Interview mit dem Magazin «Chrismon» erzählte sie einmal, wie sie als Jugendliche auf der Suche nach einer Gotteserfahrung LSD einwarf.

Sie sei an einem Ort gelandet, an dem es kein Leben und keinen Tod gegeben habe, nur Schmerzen. «Oh, mein Gott, hilf mir doch!», habe sie gerufen und sei plötzlich in eine tiefe Ruhe gekommen. «Gott hat mich mit einer Liebe angeschaut, die kann man nicht beschreiben, sie hat mich durch alle dunklen Täler getragen, die seither gefolgt sind.»

Ein Stück Kulturgeschichte

1955 im Berliner Stadtteil Friedrichshain geboren, wuchs Hagen in einer Künstlerfamilie auf. Der Vater war Drehbuchautor, die Mutter Schauspielerin und Sängerin. Früh wurde der unbeugsame Liedermacher Wolf Biermann ihr Ziehvater. Als er aus der DDR ausgebürgert wurde, erhielt Ninas Mutter ein Berufsverbot. 1977 ging auch Eva-Maria Hagen mit Nina in den Westen. Ihre künstlerische Heimat fand die ostdeutsche Künstlerin bald im Punk. Gefeiert wurde sie allerdings im englischsprachigen Raum, bevor sie auch in Deutschland Erfolg hatte.

Daneben machte sie Karriere als Talkshow-Schreck, spirituell irrlichterte sie zwischen Patchwork-Hinduismus und Ufo-Fantastereien herum. 2009 liess sich Hagen in der evangelisch-reformierten Kirche taufen. Seither trägt sie ihre Frömmigkeit mit der im Punk anerzogenen Unverfrorenheit nach aussen und ignoriert die Häme, die ihr das zuweilen einbringt, weil im Popgeschäft unter Verdacht steht, wer sich festlegt, statt zu oszillieren.

Flausen und Wahrheiten

Nina Hagen hat sich festgelegt: «Nur die Liebe und die Solidarität zählen, die Liebe leben und weiterverteilen.» Geprägt haben sie Predigten von Martin Luther King. Insbesondere die Rede «Free at last», welche die unverbrüchliche Menschenwürde ins Zentrum stellt.

Ihr eigenes politisches Engagement zitiert Hagen auf ihrer neuen Platte. Dafür sampelt sie im herrlich wild arrangierten Lied «Atomwaffensperrvertrag» eine Rede, die sie 2009 hielt. «Wozu habe ich denn eine Regierung?», lautet die so kämpferische wie rhetorische Kernfrage. Friedenspolitik, Feminismus, Konsumkritik und Bibelkunde finden auf «Unity» zusammen. Im Titelsong erweist Hagen der Black-Lives-Matter-Bewegung ihre Referenz.

Nur keine Langeweile

Ein Alterswerk, in dem Hagen ihre Wahrheiten und Flausen zur Revue zusammenfügt, ist das Album trotzdem nicht. Vielmehr klingt die Platte erstaunlich aktuell. Nina Hagen hat sich mit ihrer Musik und Ästhetik eine Kunstfigur geschaffen und ist in der Kunst doch ganz bei sich selbst.

Der schrille Auftritt passe vielleicht schlecht zur Demut des Glaubens, sagt sie selbst. «Aber wenn ich langweilige Lieder singe, schläft mir das Publikum ein.» Auf «Unity» verbreitet sie die christliche Botschaft berührend, aufgekratzt, aufrüttelnd, schräg, tröstend und ganz ohne Langeweile.

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