Es gibt Momente in der Biografie eines Künstlers, in denen alles zusammenfindet. Bei Stormzy ist es ein legendäres Konzert am Glastonbury Festival vor fünf Jahren. 26 Jahre alt war der britische Musiker mit Wurzeln in Ghana damals und der erste schwarze Künstler, der als Höhepunkt des legendären Musikfestivals programmiert worden war.
Rebellion und Gottesdienst
Der britische Rapper Stormzy verbindet kommerziellen Erfolg mit spirituellen Botschaften und politischen Protest mit sozialem Engagement. Seine Musik bleibt dabei grosse Kunst.
Eleganz und Wut
Als Stormzy den von ätzenden Wutzeilen und erstaunlicher musikalischer Eleganz geprägten Track «Vossi Bop» spielte, verwandelte sich das Konzert in eine politische Protestveranstaltung. Er prangerte die Politik des damaligen Premierministers Boris Johnson an und warb auf der Bühne für einen Regierungswechsel. Ohne Erfolg bei den Wahlen, aber mit ikonischer Wirkung in der Kunst. Der Street-Art-Künstler Banksy hatte ihm dazu passend eine Weste mit dem Union Jack auf den Leib geschneidert.
Auf seinen politischen Protest liess Stormzy in Glastonbury einen Gottesdienst folgen, indem er den Song «Blinded by Your Grace, Pt. 2» anstimmte. Der wütende Rapper wurde zum Prediger, der sein Publikum dazu aufrief, «Gott allen Ruhm zu schenken». Für das Lied, das von der Rettung («You saved this kid and I’m not your first») und der Nachfolge («What a God I serve») erzählt, holte er einen Gospelchor auf die Bühne.
Von Gott getestet
Kurze Zeit später veröffentlichte Stormzy sein Album «Heavy Is the Head» (2019) und verarbeitete darauf den Moment zwischen Rebellion und Religion. Auf dem herausragenden Song «Audacity», in dem sich zuerst eine rohe, nur sparsam instrumentalisierte Wut aufstaut, bevor der fast tänzerische Beat die harten, in rasenden Ragepassagen beinahe gespuckten Reime kontrastiert, bezeichnet er das monumentale Konzert als eine Prüfung Gottes: «When Banksy put the vest on me, felt like God was testin’ me.»
Ohnehin ist die zweite Platte gekennzeichnet von einer schonungslosen Selbstreflexion. Stormzy erzählt von seinem rasanten Aufstieg in die schwindelerregenden Höhen des Musikgeschäfts und seinem Umgang mit dem Ruhm, den er offenbar schwer erträgt. Und immer wieder kommt sein Glaube an Gott zur Sprache, der ihm im kommerziellen Höhenflug den nötigen Boden gibt.
Pure Energie
Seine musikalische Heimat hatte Stormzy früh im Grime gefunden, einem Genre, das in den prekären Verhältnissen der Londoner Sozialsiedlungen entstanden ist: schmutzig, roh und vernarbt und aufgeladen mit purer Energie. Das fiebrige Gemisch steht auf dem Boden der elektronischen Musik und verbindet afrikanischen Dancehall und Ragga mit Elementen des Hip-Hop.
Spätestens auf dem dritten Album, das er 20022 veröffentlichte, emanzipierte sich Stormzy von seiner musikalischen Herkunft, um dennoch die Wurzeln zu pflegen. Beispielhaft steht dafür der Titelsong «This Is What I Mean», in dem alte Grime-Elemente ebenso präsent sind, wie die künstlerische Weiterentwicklung offensichtlich wird. Er beginnt mit sanften Pianoklängen, um sich dann in eine komplex arrangierte, mit kratzigen Beats unterlegte und mit symphonischen Samples befeuerte Hymne zu steigern.
Der Stormzy-Effekt
Die nächsten Songs zeigen, wohin die Reise geht. Sie werden melodiöser, von der Leichtfüssigkeit des Jazz («Need You») bis zum smart arrangierten Hit («Hide & Seek»). Die soziale Relevanz ist aus der Musik freilich nicht entwichen, wie etwa «My Presidents Are Black» zeigt.
Sowieso bleibt der Künstler nicht beim politischen Protest stehen. Vor sechs Jahren hat er damit begonnen, die Diversität an der Eliteuniversität von Cambridge zu fördern, indem er Stipendien für schwarze Studierende finanzierte. Inzwischen hat er die Grossbank HSBC als Partnerin für sein Programm gewonnen. Die Zahl der schwarzen Studienanfängerinnen und -anfänger hat sich so fast verdreifacht. Obwohl nicht alle von ihnen von einem Stipendium profitieren, sprach die Universitätsleitung von einem Stormzy-Effekt.
So findet in Musik und Engagement von Stormzy zusammen, was auch den Glauben prägt: die Beheimatung und die Rebellion gegen Ausgrenzung, das Gottvertrauen und die kleinen Schritte zur Gerechtigkeit in der Welt.