Zack. Der erste Akkord ist ein Statement und fällt aus der Zeit. Willkommen im Blues. Nachdem ein dunkler, hallender Chor, der an eine Holzkirche irgendwo am Mississippi denken lässt, das neue Album von Ben Harper eröffnet, kracht einer dieser vertrauten Bluesakkorde in die Andacht, die schon tausendmal gespielt wurden und dennoch ungeheuer präsent klingen.
Im Eröffnungsstück «When I Go» steckt die ganze Wucht und Präsenz des Blues. Es folgt das rumpelnde «Bad Habits» mit einer wunderbar verspielten Gitarre und einer singenden Mundharmonika.
Zeugnis einer Freundschaft
Die Platte «No Mercy In This Land» spielte Harper mit Charlie Musselwhite ein, der eine Generation älter und ein Meister der Mundharmonika ist. Das Album ist Zeugnis einer Freundschaft, die von einer Blueslegende gestiftet wurde. John Lee Hooker (1917–2001) rief seinen Kumpel Musselwhite an: Er habe da einen interessanten Jungspund in seinem Vorprogramm. Das war 1993. Erst 20 Jahre später nahmen Musselwhite und Harper ihre erste gemeinsame Platte auf.
Die zehn neuen Songs wurden im Studio ohne spätere Nachbesserungen eingespielt. Ein Anachronismus, der sich in einer faszinierenden Unmittelbarkeit zeigt. Es scheint, als seien die Instrumente in einem grossen, kargen Raum verteilt. Spürbar ist, dass die Musiker nicht mehr als Harpers Songskizzen kannten. Sie überliessen sich dem Moment, fanden ihr Zusammenspiel in der Improvisation.
Originalität wird überschätzt
Ben Harper hat noch nie die Originalität gesucht. Lieber zitierte er und suchte sich seinen Platz in der Geschichte. In die Musik wurde er hineingeboren. Die Eltern der Mutter führten in Claremont ein auf Folk spezialisiertes Musikgeschäft, das auch Unterricht anbietet und inzwischen ein Museum aufgebaut hat, der Vater war Perkussionist.
Harper schreibt sich mit seiner Musik in unterschiedliche Traditionen ein von Reggae über Country bis Funk. Er schöpft aus dem Reichtum biblischer Texte und hatte mit dieser Technik der Verweise bereits früh eine Nähe zum Blues.
Ganz in den Dienst des Glaubens stellte Harper seine Musik, als er die Blind Boys of Alabama traf. Mit der berühmten Gospelgruppe spielte er das mit einem Grammy ausgezeichnete Album «There Will Be A Light» (2004) ein. Bereits viele Texte auf dem Vorgänger «Diamonds On The Inside» waren von neutestamentlichen Metaphern geprägt.
Glaube und Engagement
Für Harper ist der aus der Kirche stammende Gospel die Wurzel der amerikanischen Musiktradition. «Er war schon vor Blues, Soul und Rock da.» Als Fundament ist der Gospel deshalb immer präsent, wenn Harper Musik macht. So auch auf «No Mercy In This Land».
Seine Spiritualität verbindet Ben Harper mit politischem Engagement. So beginnt das aktuelle Titelstück, das er im Duett mit Musselwhite singt, mit der Frage, was man als Erstes sagen würde, stünde man einmal tatsächlich vor Gott. Danach nimmt Harper in poetisch reduzierten Zeilen das Fluchtmotiv auf und zeichnet das Bild eines Amerika, dem es an Mitleid und Erbarmen für die Gestrandeten fehlt.
In seinen Texten verknüpft Ben Harper biografische Fragmente aus den Leben beider Musiker mit der grossen Erzählung der amerikanischen Musik und Literatur. Es ist die Geschichte vom Überleben und Durchhalten und gleichzeitig von der Hoffnung auf den Neubeginn, auf Gnade und Vergebung. Es geht um die Liebe zum Leben, Freundschaft, aber auch um Gewalt und Tod, wenn der Mord an Musselwhites Mutter erwähnt wird. «Blues ist Leben», sagt Charlie Musselwhite.
Die Transzendenz der Harmonika
Ganz am Ende gelingt Ben Harper vielleicht das beste Lied, das er je geschrieben hat. Von kreisenden Klavierakkorden und einem spartanischen Bass begleitet, singt er das zwischen Blues und Soul changierende «Nothing At All» voller Emotionalität, fern jeder Gefühlsduselei. Und Musselwhite zeigt in seinem Solo, warum er oft eine Legende seines Fachs genannt wird.
Ben Harper spricht im Zusammenhang mit dem Stück von der «Transzendenz der Harmonika». Sie klinge nach einer Geige, einer Orgel, «symphonisch und gross». Es sind leise, fast beiläufige Grenzüberschreitungen, die das Album zum Ereignis machen.