Recherche 29. Juli 2020, von Felix Reich

Dann muss halt der Poet übernehmen

Musik

Er macht einfach immer weiter: Bob Dylan hat ein fantastisches Album eingespielt. Der Poet analysiert die prekäre Lage der Nation und grüsst im Vorbeigehen den emeritierten Papst.

Kann sein, es ist nur ein guter Witz. Im  schleppenden Eröffnungsstück «I Contain Multitudes» der neuen Platte «Rough and Rowdy Ways» pfercht Bob Dylan Filmheld Indiana Jones mit Anne Frank und den Rolling Stones in zwei Zeilen, umrahmt von Grüssen an die Dichter Edgar Alan Poe und William Blake.

Spitzbübischer Humor

Dylan  schien sich schon immer lustig zu machen über seine Exegeten. Mit spitzbübischer Freude legt er falsche Fährten. Doch seine Lyrik ist zu intelligent, um als reine Wortakrobatik durchzugehen. In den in «I Contain Multitudes» verpackten Referenzen schillert der Literaturnobelpreis, den Dylan 2016 erhielt. Statt die Auszeichnung abzuholen, tourte er damals einfach weiter. Im Selbstporträt schliesst er nun Hollywood und Dichtung, Musik und Erinnerungsarbeit kurz.

Ein Mann der Widersprüche ist der Versteckspieler tatsächlich. Als Protestsänger gefeiert, verschanzte er sich hinter mehrdeutigen Metaphern. Als Poet anerkannt, schlug er 1979 die ultimative Finte und entdeckte die Eindeutigkeit des Predigers. Die neue Nähe zum Messias garantierte maximale Distanz zur Fangemeinde, die ihn als Retter der intellektuellen Popkultur verehrte.

Trotz mit umwerfendem Groove

Die Erweckungsphase hat Dylan zwar hinter sich gelassen. Im Werk des Skeptikers bleiben biblische Bilder dennoch präsent. Im trotzigen, von einem umwerfenden Groove getragenen Song «False Prophet» zum Beispiel, mit dem er nach zwei Jahrzehnten dem inzwischen emeritierten Papst Benedikt XVI. zu antworten scheint.Dessen Vorgänger Johannes Paul II. hatte ihn 1997 öffentlichkeitswirksam zum Kongress nach Bologna eingeladen. Dylan nahm dankend an, um sein zeitloses Endzeitalbum «Time Out of Mind» ins Schaufenster zu stellen.

Benedikt fragte sich noch lange nachdem er den charismatischen Polen im Vatikan beerbt hatte, ob es wirklich richtig war, «diese Art von Propheten» auftreten zu lassen. Natürlich verneinte der deutsche Kulturpessimist die Frage implizit.

False Prophet

Dylan orientiert sich mit seinem Blues an der Tradition der Propheten im Alten Testament, beschreibt sich als Feind des Verrats, des Streits sowie des ungelebten, bedeutungslosen  Lebens: «I ain’t no false prophet, I just know what I know.»

Das mit einer fantastischen Band eingespielte Album, mit dem Dylan acht Jahre nach seiner Hommagean William Shakespeare «Tempest» wieder zu Eigenkompositionen zurückkehrt, erschöpft sich jedochnicht in Selbstreferenzen. In der mit Streichern orchestrierten Ballade «Murder Most Foul» greift der Sänger ein amerikanisches Trauma auf: den Mord an Präsident John F. Kennedy von 1963, um den sich viele Verschwörungstheorien ranken.

Im Nebel der Assoziationen

Den 17 Minuten langen Song liess Dylan auf eine separate CD pressen, als dem Album beigelegte Single sozusagen oder als düsterer Epilog. Die im gelassenen Sprechgesang vorgetragene Erzählung mündet in einer Playlist zur Sterbebegleitung. Wobei sich die Identität des Sterbenden im Nebel der Assoziationen aufzulösen beginnt. Vielleicht ist es am Ende gar die Seele Amerikas, die Dylan in Musik und Poesie erkennt.

Indem Dylan auch die Legenden von Mafia-Mord und CIA-Komplott einwebt, reicht sein Requiem auf JFK tief in die Gegenwart hinein. Denn im Zeichen der alternativen Fakten ist die Wahrheit brüchig geworden. Und dass die Vergangenheit nie vorbei ist, sondern höchstens zwischendurch in einen tiefen Schlummer verfällt, gehört zu den Leitmotiven in Dylans Werk.

Eigentlich unmöglich

Mit «Murder Most Foul» hat Dylan seinen  ersten  Nummer-eins-Hit in den Billboard Charts gelandet. Im Zeitalter fürs Streaming optimierter Songs eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Und als er das Lied ins Netz stellte, sprach er schon fast im alten Predigtton zu seiner Gemeinde: «Stay safe, stay observant and may God be with you.» Wenn der Präsident in der Krise schon keine präsidialen Sätze zustandebringt, muss der Poet übernehmen.

Wachsame Achtsamkeit

Dylan wäre nicht Dylan, hätte er im Segenswunsch keine doppeldeutige Spitze versteckt. Ist mit «observant»  wachsam oder achtsam gemeint? Ruft er in Corona-Zeiten zur Achtsamkeit gegenüber den Mitmenschen auf oder fordert er angesichts des irrlichternden Präsidenten eine erhöhte Wachsamkeit?

Die Mehrdeutigkeit  hat die Poesie der Politik voraus. Und wahre Achtsamkeit kann wohl ohnehin nur wachsam gelingen.

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