Rebellin und Priesterin

Nachruf

Sinéad O’Connor sang Gebete und Anklagen. Ihre spirituelle Suche führte sie vom Katholizismus bis zum Islam. Nun ist die irische Sängerin gestorben. Sie hinterlässt grosse Kunst.

Manchmal liegt alles in einer Stimme. Die Angst und die Schönheit, der ganze Schmerz und die letzte Hoffnung. Sinéad O’Connor hatte eine solche Stimme. Sie verwandelte den maximal mittelmässigen Song «Nothing Compares 2 You» aus der Feder des Popgenies Prince (1958–2016) in eine existenzielle Verlusterfahrung. Und das mit einem stupiden Drumcomputer unterlegte Volkslied «I Am Stretched on Your Grave» klang bei ihr plötzlich wie ein fiebriges Gebet.

Die offene Wunde

Ihr zweites Album «I Do Not Want What I Haven’t Got», das sie mit dem Gelassenheitsgebet von Franz von Assisi eröffnete, katapultierte Sinéad O’Connor in den Popolymp. Sie arbeitete mit Elton John, Massive Attack, Peter Gabriel oder Dolly Parton zusammen. Dennoch blieb sie die grosse Unverstandene. Ihr Furor, ihre Zerrissenheit, vor allem aber eine eigentümliche Orientierungslosigkeit prägten ihre Musik. Oft wurde ihre Haltung als reine Provokation missverstanden.

Dabei blieb die Kindheit offensichtlich eine schwärende Wunde. 2017 machte O’Connor öffentlich, von ihrer Mutter misshandelt worden zu sein. Nach der Trennung der Eltern war sie zum Vater gezogen, mit 15 Jahren kam sie in ein von Nonnen geführtes Heim, weil sie die Schule geschwänzt und Ladendiebstähle begangen hatte. In der Obhut der katholischen Kirche gingen die Misshandlungen weiter.

Feinbild und Zufluchtsort

Die Kirche blieb Feindbild und Zufluchtsort. Sinéad O’Connor war 25 Jahre alt, als sie eine Fernsehshow nutzte, um den Missbrauch in der katholischen Kirche anzuprangern. Wobei die mehr verzweifelte als zornige Geste in Wahrheit eine Abrechnung mit der eigenen Mutter war. Das Bild von Papst Johannes Paul II., das sie vor laufender Kamera zerriss, war das einzige Erinnerungsstück, das ihr von der bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Mutter geblieben war.

Zwei Wochen danach trat Sinéad O’Connor im New Yorker Madison Square Garden auf. Bob Dylan feierte den 30. Geburtstag seines Debütalbums. Die gefeierte Aussenseiterin der Popmusik wurde gnadenlos ausgebuht. Scheinbar stoisch ertrug sie die Schmährufe, befahl den Begleitmusikern resolut, den Versuch, das einstudierte Gratulationslied anzustimmen, abzubrechen.

Dann ging ein Ruck durch sie. Sie riss die Kopfhörer weg, schrie «War» von Bob Marley ins Mikrofon: dass der Krieg nicht aufhöre, solange Menschenrechte mit Füssen getreten würden und die Ungleichheit nicht beseitigt sei. Ihre ganze Wut, ihren ganzen Stolz schleuderte sie dem Publikum entgegen. Kaum hatte sie sich von ihm abgewandt, flossen ihre Tränen. Rebellion und Zusammenbruch gehörten bei ihr stets zusammen.

Fremdes angeeignet

«War» spielte Sinéad O’Connor 13 Jahre später in einer wunderbaren Version neu ein. In der Rastafari-Bewegung hatte sie eine spirituelle Heimat gefunden und mit «Throw Down Your Arms» ein fantastisches Reggae-Album eingespielt. Der Glaube hatte sie trotz der Rebellion gegen den Vatikan nie losgelassen. Von einer katholischen Freikirche liess sie sich zur Priesterin weihen, nahm ein Gospel-Album auf, veröffentlichte 2007 die programmatische Platte «Theology». Zuletzt konvertierte sie zum Islam.

Neben starken Eigenkompositionen wie der spartanisch instrumentalisierten, eindringlich vorgetragenen Anklage «Black Boys On Mopeds» (1990), die von Armut und Rassismus in Grossbritannien erzählt, schaffte O’Connor wiederholt die buchstäbliche Aneignung fremder Songs. So gelang ihr auf ihrem grandiosen Album «Universal Mother» (1994) eine beinahe zärtliche Interpretation von «All Apologies», vielleicht dem besten Song, den Kurt Cobain (1967–1994) jemals für Nirvana geschrieben hat.

Ungestille Sehnsucht

Neben grosser Kunst spielte die Irin freilich auch viel kommerziellen Kitsch ein. Und nicht nur in der Musik und auf ihrem spirituellen Zickzackkurs irrlichtete sie durch ihr Leben. Viermal war sie verheiratet, einmal suchte sie auf Twitter nach Liebhabern, dann outete sie sich als homosexuell, nur um alles sogleich wieder zu dementieren. 

Ihre Biografie liest sich als verzweifelte, radikale Suche nach Halt. Es gehört zur Tragik der Kunst, dass es vielleicht diese ungestillte Sehnsucht ist, die ihre besten Songs derart stolz und zerbrechlich, ihre gesungenen Gebete so dringlich und berührend machen. Sinéad O’Connor starb am 26. Juli im Alter von 56 Jahren in London.

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