Meinung 28. Mai 2022, von Marius Schären

Frieden beginnt, wenn die Worte des Hasses verstummen

Krieg

Konflikte werden nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Worten ausgetragen. Sie sind es, die den Boden bereiten und die Gewalt verstärken.

Die Wutwelle schwappt über in zahlreichen Leserkommentaren zu Beiträgen über den Krieg in der Ukraine. Nebst seinem Präsidenten wird oft das ganze russische Volk als rückständig, brutal oder hinterwäldlerisch bezeichnet. Vereinzelt lassen in der aufgeheizten Stimmung auch Medien grundlegende Regeln ausser Acht. So publizierte etwa eine Pendlerzeitung unter dem Titel «Ukraine zeigt Bilder von Butscha-Tätern» zwei von der Ukraine gelieferte Fotos von Russen mit ausgeschriebenen Namen (hier nur die Initialen): «Gesucht: W. K.» und «Hat N. A. getötet?». Persönlichkeitsschutz und Unschuldsvermutung? In diesem Fall störte es kaum jemanden.

Blind für die Grautöne

Vielen scheint klar zu sein: Böse sind «die Russen» und ihre «Putin-Versteher». Gut sind die Ukrainer und all jene, die Waffen liefern. Achtsamkeit in der Sprache ist kaum gefragt. Leserinnen und Leser, die in den Kommentarspalten die Schwarz-Weiss-Malerei kritisieren und mahnen, dass Menschen gegeneinander aufgebracht würden, statt sie zueinanderzuführen, werden downgevotet.

Klar sind heftige Emotionen verständlich angesichts der Informationen, die wir rund um den Krieg erhalten. Doch diese Wut ungefiltert zu publizieren, kann sich fatal auswirken, bis hin zu politischen Kurzschlüssen. Erstens sind alle Informationen Teil des Krieges – nicht nur die krasse russische Propaganda, sondern die aller Beteiligten. Je weniger journalistisch arbeitende Menschen vor Ort berichten, desto weniger verlässliche Informationen gibt es.

Krieg bringt nur Leid, Elend, Wut und Hass, und zwar auf allen Seiten, auf lange Zeiten.

Zweitens dient jede übertriebene Parteinahme auch der Gegenseite, den Konflikt weiterzuführen. Beschimpfungen spielen nur den Beschimpften in die Hände. Und es wird etwas gemacht, was Putin selbst tut: andere herabsetzen, um Stimmen zu fangen. Damit kann die russische Führung die Ressentiments im eigenen Volk verstärken und weiterbauen an ihrem faschistischen Konstrukt.

Die Gräuel klar benennen

Das ist kein Votum für einen Kuschelkurs. Handeln und Reden jener, die in Russland an den Hebeln der Macht sitzen, sind entsetzlich, schauderhaft, menschenverachtend. Das soll mit grösster Klarheit benannt sein. Verbrechen sollen mit grösster Konsequenz geahndet werden. Aber Krieg zu befeuern – materiell und kommunikativ –, ist immer falsch. Der bringt nur Leid, Elend, Wut und Hass, und zwar auf allen Seiten, auf lange Zeiten.

Grundsatz müsste jetzt sein, sich nicht nur um den Krieg, sondern auch um den Frieden zu bemühen. Ein Frieden in der heutigen Situation – mit der Apokalypse eines Atomschlags vor Augen – kann nur durch Gespräche entstehen. Deshalb ist nicht pauschal zu verurteilen, wer nach Erklärungen für das Denken und Handeln beider Seiten sucht. Nur so werden Grundmauern für ein konstruktives Weitergehen gesetzt. Oder, um es in den Worten einer regimekritischen russischen Übersetzerin und Theaterschaffenden zu sagen: «Wir dürfen nicht in die Rhetorik des Hasses verfallen. Wenn wir den Hass wählen, haben die Bastarde dieser Welt gewonnen.»

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