Recherche 22. Juni 2022, von Heimito Nollé/ref.ch; Hans Herrmann

Russisch-Orthodoxe Kirche bleibt Mitglied im Weltkirchenrat

Ökumene

Der Ökumenische Rat der Kirchen verhängt keine Sanktionen gegen die Russisch-Orthodoxe Kirche. Damit ist auch eine Forderung der Schweizer Reformierten vom Tisch.

Die Russisch-Orthodoxe Kirche bleibt Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK). An seiner Tagung vom 15. bis 18. Juni in Genf hat sich der Zentralausschuss des ÖRK gegen eine Suspendierung der Russisch-Orthodoxen Kirche aus dem Weltkirchenrat ausgesprochen.

An einer Pressekonferenz erklärte der neu gewählte Generalsekretär Jerry Pillay, der Weltkirchenrat habe die Aufgabe, die Einheit der Kirchen ins Auge zu fassen. Es sei deshalb richtig, den Dialog mit der Russisch-Orthodoxen Kirche aufrecht zu erhalten. «Wir müssen versuchen, einen fruchtbaren Dialog zu führen und auch die Perspektive der Russisch-Orthodoxen Kirche zu verstehen», sagte Pillay.

Motion vom Tisch

Der Entscheid des Zentralausschusses kommt wenig überraschend. Bereits am ersten Tag der Versammlung hatte der amtierende Generalsekretär Ioan Sauca betont, dass der ÖRK ein «Ort für den Dialog» sei. Es sei einfach, auszugrenzen und aus der Gemeinschaft auszuschliessen. «Aber wir sind aufgerufen, eine freie und sichere Plattform der Begegnung und des Dialogs zu nutzen, einander zu begegnen und einander zuzuhören, auch wenn wir einmal nicht einer Meinung sind», sagte Sauca.

EKS-Synode sprach sich für Konfrontation aus

Erst vor einer Woche forderte die Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) nach einer engagierten Debatte, der Ausschluss der russisch-orthodoxen Kirche aus dem ÖRK müsse geprüft werden.

Den Artikel zur Diskussion an der Synode finden Sie hier.

Vom Tisch ist damit auch die Forderung der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS), eine Suspendierung der russisch-orthodoxen Kirche aus dem ÖRK zu prüfen. Eine entsprechende Motion war in der Synode der EKS vom vergangenen Wochenende verabschiedet worden. Auch Theologinnen und Kirchenvertreter in Deutschland hatten den Weltkirchenrat dazu aufgefordert, die Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche auf Eis zu legen.

Immerhin aber verurteilte gemäss Mitteilung der EKS der Zentralausschuss des ÖRK in seiner abschliessenden Stellungnahme den Missbrauch religiöser Sprache zur Rechtfertigung des Krieges in der Ukraine deutlich. Zudem forderte er die Russisch-Orthodoxe und die Ukrainisch-Orthodoxen Kirchen eindringlich auf, sich auf den Weg des Dialogs zu begeben.

Treffen in Karlsruhe steht an

Der Moskauer Patriarch Kyrill hatte mit seinen Äusserungen zum Krieg in der Ukraine wiederholt für Entsetzen gesorgt. Unter anderem rechtfertigte Kyrill die russische Aggression als Verteidigungskrieg gegen den «dekadenten» Westen. Seit Kriegsbeginn ist Kyrill nicht von seinem Kurs abgewichen. Zuletzt hatte ein Sprecher der Russisch-Orthodoxen Kirche betont, Versuche, den Patriarchen dazu zu zwingen, seine Ansichten aufzugeben, seien «sinnlos, absurd und perspektivlos».

Die Formulierung ... ‹auch wenn wir einmal nicht einer Meinung sind› ist ein Euphemismus, der seinesgleichen sucht.
Michel Müller, Präsident des Kirchenrates Zürich

Die von den EKS-Synodalen überwiesene Motion, dass eine Suspendierung der Russisch-Orthodoxen Kirche aus dem ÖRK zu prüfen sei, stammt vom Zürcher Kirchenratspräsidenten Michel Müller. Auf den Entscheid des ÖRK-Zentralausschusses, auf eine Suspendierung zu verzichten, reagiert er enttäuscht, verärgert, ja «schockiert».

Vor allem die Begründungen des neuen Generalsekretärs Jerry Pillay und dessen scheidenden Amtsbruders Ioan Sauca, wie sie wörtlich im kirchlichen Nachrichtenportal ref.ch wiedergegeben sind, kann er in keiner Weise nachvollziehen.

«Zu verstehen gibt es da nichts»

«Die beiden sprechen davon, mit der Russisch-Orthodoxen Kirche einen fruchtbaren Dialog führen und deren Perspektive verstehen zu wollen», so Müller. «Und weiter, dass sich der ÖRK als Plattform des Dialogs verstehe, auch wenn man einmal nicht einer Meinung sei.» Solche Formulierungen seien, kommentiert Müller, ein Hohn und liessen in seinen Augen die Glaubwürdigkeit des ÖRK «ein Stück weit schwinden». Denn zum einen seien die Russen ja nicht gesprächsbereit, zum andern rechtfertige deren Patriarch Kiryll mit theologischen Mitteln einen Angriffskrieg, der an Brutalität nicht zu überbieten sei. «Zu verstehen gibt es da nichts.»

Weiter kritisiert Müller: «Die Formulierung ... ‹auch wenn wir einmal nicht einer Meinung sind› ist ein Euphemismus, der seinesgleichen sucht.» Es gehe hier doch nicht einfach um eine Meinungsverschiedenheit, sondern um die Haltung in einem äusserst brutalen Krieg. Er, Müller, hätte sich vom ÖRK eine klare Positionierung gegen die Haltung der Russisch-Orthodoxen Kirche gewünscht. Leider aber sei – ausser der Evangelischen Kirche Schweiz – weltweit offenbar keine andere Kirche bereit, einen solchen Schritt zu wagen.

Rita Famos sieht es auch positiv

Die EKS-Ratspräsidentin Rita Famos sieht trotzdem auch Gutes in den Resultaten der ÖRK-Tagung, wie es in einer Mitteilung heisst. «Dass es möglich war, bereits zwei Tage nach der EKS-Synode das Anliegen der Motion im Zentralausschuss zu diskutieren, überrascht mich positiv. Der Entscheid, eine ukrainische Delegation nach Karlsruhe einzuladen, ist ein deutliches Zeichen.»

«Eine klare Sprache» spreche ausserdem das Statement des Zentralausschusses, das mit Zustimmung der Delegierten der Russisch-Orthodoxen Kirche verabschiedet wurde – und zwar in zwei Punkten: Einerseits mit Verurteilung der Legitimation des Krieges, andererseits mit dem geäusserten Willen, die Parteien an den Tisch zu bringen. Das ist gemäss Famos zu begrüssen.

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