Die Religionslandschaft in der Ukraine ist vielfältig. Die zwei grössten kirchlichen Gemeinschaften nennen sich beide ukrainisch-orthodox. Doch während die eine ihren eigenen Patriarchen in Kiew hat, gehört die andere zur russisch-orthoxen Kirche und untersteht dem Patriarchen in Moskau. Beide konkurrieren seit der ukrainischen Unabhängigkeit 1991 um den Status als Nationalkirche.
Hinzu kommen zwei katholische und mehrere protestantische Kirchen. Sie alle leisten humanitäre Hilfe für die unter der Krise leidende Bevölkerung. Jedoch verweigern sie jegliche Form von Hilfeleistungen an die Regierungen der international nicht anerkannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk im Osten. Das trifft sogar auf die Kirche des Moskauer Patriarchats zu. Sie zeigt damit deutlich, dass sie die von Russland unterstützten Republiken nicht anerkennt.
Maidan als Wende. Als Folge der Maidan-Proteste vor vier Jahren mit ihren Forderungen nach demokratischen Reformen kam es unter den Kirchen, die sich auf die Seite der Demonstrierenden stellten und sie aktiv unterstützten, zu einer «überraschenden Annäherung», wie Stefan Kube, Leiter des Instituts G2W, sagt. «Plötzlich gab es mehr Zusammenarbeit unter ihnen.» Auch der Experte Andriy Mykhaleyko, Dozent für Kirchengeschichte an der Katholischen Universität in Lemberg, spricht von einer «interessanten Wende», die seit Maidan bei den Kirchen stattgefunden habe. «Damals haben die Kirchen verstanden, dass sie gemeinsam handeln müssen.»
Ungeachtet der weiterhin bestehenden Rivalitäten untereinander fanden die Kirchen zu einem ökumenischen Miteinander zusammen. Im Allukrainischen Rat der Kirchen und Religionsgemeinschaften, der achtzehn Konfessionen und nach eigenen Angaben 75 Prozent aller Ukrainerinnen und Ukrainer vertritt, besitzen sie eine gemeinsame Stimme.
Die Kirchen geniessen bei der Bevölkerung höheres Ansehen als die korrupten Politiker und Parteien. Mit regelmässigen Stellungnahmen und auch im direkten Kontakt mit der Regierung Poroschenko nimmt der Rat öffentlich Einfluss. So hat er die Annexion der Krim durch Russland verurteilt, ebenso den Konflikt in der Ostukraine. Mehrfach rief er zu einer friedlichen Lösung auf. Zur Stärkung der Zivilgesellschaft forderte die Regierung auf, für eine unabhängige Justiz in der Ukraine einzustehen und die Korruption entschlossen zu bekämpfen.
Die Einheit bleibt fragil. Laut Stefan Kube ist wichtig, dass die Kirchen über den Rat gemeinsam Position beziehen. Nur geeint könnten sie öffentlichen Einfluss ausüben in der multikonfessionellen Ukraine. Für Andriy Mykhaileyko ergeben sich durch die Zusammenarbeit im Rat gute Möglichkeiten, die zivilgesellschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Doch bleibt er skeptisch hinsichtlich der Annäherung der Kirchen: «Die Frage ist, wie lange das Tauwetter anhält. Die langfristige Annäherung wird eine Herausforderung bleiben.»