Recherche 04. April 2022, von Marius Schären

Religionen demonstrieren vereint gegen den Krieg

Ukraine

Für diesen Angriffskrieg gebe es keine Rechtfertigung: Das sagte Rita Famos, Ratspräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz, an einer Friedenskundgebung in Bern.

Kalt und grau war es am 2. April 2022 in Bern. So wie wohl in vielen Herzen angesichts des Krieges in der Ukraine. Trotzdem gingen gemäss den Organisatorinnen und Organisatoren rund 10'000 Menschen auf die Strasse und demonstrierten für den Frieden. Zur Kundgebung aufgerufen hatten die SP Schweiz mit anderen politischen Parteien, Gewerkschaften, die Religionsgemeinschaften und etwa 40 weitere Non-Profit-Organisationen.  

Im Namen des schweizerischen Rates der Religionen richtete Rita Famos, Präsidentin der evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS), einen Appell an Kyrill, den Patriarchen von Moskau und Oberhaupt der russisch-orthodoxen-Kirche. Dieser hat sich bisher stets hinter die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin gestellt.

«Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr!»

«Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr und zeigen Sie Ihrem Präsidenten auf, dass es keine christliche Legitimation gibt für diesen Krieg», sagte Famos in ihrer Rede auf dem Bundesplatz. Noch sei kein Friede auf Erden. «Aber wir verlieren die Hoffnung nicht. Wir geben nicht auf. Wir wirken, wo wir können, für Frieden und Gerechtigkeit», betonte die Ratspräsidentin, deren Rede hier im Wortlaut gelesen werden kann.

Famos wies auf eine Statue des aus der Ukraine stammenden Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch hin, die 1959 die Sowjetunion der UNO geschenkt hatte: ein Mann, der sein Schwert zu einem Pflug umschweisst. Die damalige Sowjetunion habe damit die UNO auf ihre übergeordnete Aufgabe der Friedensförderung hingewiesen, sagte Famos.

Sowjetische Regierung zum Vorbild nehmen

Und sie richtete direkt an den russischen Präsidenten Wladimir Putin die Worte: «Nehmen Sie die prophetische Geste der damaligen sowjetischen Regierung zum Vorbild! Es steht in Ihrer Verantwortung und Möglichkeit, dass die Waffen niedergelegt und die Felder in der Ukraine und in Russland wieder gepflügt und besät werden können.»

Die reformierte Ratspräsidentin trat im Namen des Schweizerischen Rates der Religionen auf. Dazu gehören neben den Reformierten die Schweizer Bischofskonferenz, die Christkatholische Kirche Schweiz, die freikirchlich geprägte Schweizerische Evangelische Allianz, der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und islamische Organisationen der Schweiz.

Die Pflicht der Gläubigen, den Krieg zu stoppen

Und sie alle stünden hinter der Aussage des ukrainischen Rates der Kirchen und Religionsgemeinschaften, sagte Rita Famos weiter. Dieser äusserte sich am 24. Februar so: «Wir halten es für eine gemeinsame Pflicht der Gläubigen, den Krieg zu stoppen, bevor es zu spät ist. (…) Ein Angriffskrieg ist ein großes Verbrechen gegen den allmächtigen Gott.» Ausserdem stimme die Aussage des Metropoliten der russisch-orthodoxen Kirche in der Ukraine zuversichtlich. Er fordert Präsident Putin auf, «…den Bruderkrieg sofort zu beenden. Für einen solchen Krieg gibt es keine Rechtfertigung, weder vor Gott, noch vor den Menschen.»

Es steht in Ihrer Verantwortung und Möglichkeit, dass die Waffen niedergelegt und die Felder in der Ukraine und in Russland wieder gepflügt und besät werden können.
Rita Famos, Ratspräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz

Famos nannte auch konkrete Folgen für ihre dargelegte Haltung: Sie bedeute, die Flüchtenden zu unterstützen. «Wir tun unser Bestes, Sie willkommen zu heissen und Sie die nötige Unterstützung erfahren zu lassen. Wir beten für jene, die zurückgeblieben sind. Zusammen wollen wir in Frieden leben», richtete Famos in Englisch das Wort direkt an die Betroffenen.

Gas- und Ölstopp gefordert

Neben Famos sprachen auf dem Bundesplatz gemäss Medienberichten auch zwei Vertreterinnen der russischen Opposition. Katja Glikmann, Journalistin der russischen Oppositionszeitung «Nowaja Gaseta», sagte, die 2006 getötete, kremlkritische russische Journalistin Anna Politkowskaja habe schon vor Jahren vor Putin gewarnt. Doch der Westen habe nicht zugehört. Ihm seien die Handelsbeziehungen zu Russland wichtiger gewesen.

Für einen Stopp von Gas- und Ölkäufen aus Russland sprach sich Hanna Perekhoda aus, Vertreterin eines Unterstützungskomitees für das ukrainische Volk in der Waadt und in Genf. Alexandra Karle, Geschäftsleiterin von Amnesty International Schweiz, sagte, auch andere Flüchtlinge als ukrainische hätten «Anspruch auf unser Mitgefühl und unsere Menschlichkeit».

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