Recherche 02. März 2022, von Felix Reich

Weben am Gebetsteppich für den Frieden

Krieg

Im Zürcher Grossmünster beteten am 28. Februar Angehörige unterschiedlicher Religionen für Frieden in der Ukraine. Ein starkes Zeichen in Zeiten der Angst.

Wer am 28. Februar pünktlich ins Zürcher Grossmünster kam, musste stehen oder sich auf den Boden setzen. Die Kirche war um 18 Uhr bereits bis auf den letzten Platz besetzt. Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist, der auch das Zürcher Forum der Religionen präsidiert, hatte ein interreligiöses Friedensgebet für die Ukraine organisiert.

Vertreterinnern und Vertreter der reformierten, orthodoxen, römisch-katholischen und christkatholischen Kirchen in Zürich sowie Repräsentantinnen und Repräsentanten der islamischen, jüdischen, hinduistischen und buddhistischen Gemeinschaften gestalteten die eindrückliche Feier gemeinsam. Im Kirchenschiff sassen auch Regierungsrätinnen und Regierungsräte, Stadträtinnen und Stadträte sowie der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller und Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS).

Botschafterinnen des Friedens

Musikalisch begleitet wurde die Feier von einem Chor der serbisch-orthodoxen Kirche, gemeinsam sang die Gemeinde Taizé-Lieder. Und während des vom Chor gesungenen Unservaters waren alle Menschen eingeladen, in ihrer eigenen religiösen Tradition zu beten und so an einem vielstimmigen Gebetsteppich zu weben. «Indem wir beten, halten wir uns, obwohl wir in unserer Angst den Boden unter den Füssen verlieren», sagte Sigrist.

Nothilfe für die Ukraine

Die Kollekte, die im Grossmünster gesammelt wurde, kommt der Nothilfe für die Ukraine zugute. Heks-Direktor Peter Merz versprach, das Geld den diakonischen Werken der jeweiligen Religionsgemeinschaften, die sich in der Ukraine engagieren, sowie den langjährigen Partnerorganisationen des Heks zukommen zu lassen. Das Hilfswerk der evangelischen Kirchen in der Schweiz ist schon lange in Osteuropa präsent und hat nun ein Nothilfe-Programm für die Opfer des Krieges in der Ukraine aufgebaut. Im Westen des Landes beschaffen Partnerorganisationen des Heks Nahrungsmittel und Hygieneartikel für Flüchtlinge. Notunterkünfte insbesondere für Familien mit Kindern werden aufgebaut und die medizinische und psychologische Betreuung sichergestellt. Die reformierten Kirchen in Rumänien, Ungarn und in der Slowakei, die mit dem Heks verbunden sind, versorgen die Flüchtlinge im Grenzgebiet.

Angesichts der schrecklichen Bilder vom Krieg in der Ukraine dürfe die Schweizer Regierung «nicht wegschauen», forderte Noam Hertig. Und weiter sagte der Rabbiner der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich: «Wir dürfen nicht akzeptieren, dass die biblischen Werte, welche die Grundlage unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft bilden, wie die Freiheit, die Würde eines jeden als Gottes Ebenbild erschaffenen Individuums, durch totalitäre Ideologien angegriffen werden, die auf Kosten der Schwachen die absolute Macht des Stärkeren propagieren.» Auch Kaser Alasaad, Imam der islamischen Gemeinschaft in Volketswil, verurteilte die russische Aggression mit deutlichen Worten.

Ein schrecklich aktuelles Kriegslied

Die Pfarrerin Barbara Oberholzer, Co-Dekanin der reformierten Kirchgemeinde Zürich, liess das erschreckend aktuelle Kriegslied von Matthias Claudius (1740 – 1815) sprechen: «'s ist leider Krieg – und ich begehre / Nicht schuld daran zu sein! / Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen / Und blutig, bleich und blass, / Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen, / Und vor mir weinten, was?» Der alte Text führe noch immer eindringlich vor Augen, was Krieg bedeute, erklärte Oberholzer.

Gegen Ende der Feier trat auch Daniel Schärer ans Mikrofon. Der Diakon an der russisch-orthodoxen Auferstehungskirche in Zürich dankte im Namen seiner Gemeinde allen Menschen, die ins Grossmünster gekommen waren, um für den Frieden zu beten. «Ich glaube, man kann nicht genug betonen, wie wichtig und auch wie stark das Gebet zu Gott ist.» Er rief dazu auf, das Gebet für den Frieden fortzuführen. Ob in Gemeinschaft oder allein zu Hause.

Viele Besucherinnen und Besucher des Friedensgebets nahmen im Anschluss an der Kundgebung auf der anderen Seite der Limmat teil. Auf dem Münsterhof zeigten rund 20'000 Menschen ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und protestierten gegen den durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin befohlenen Krieg. Viele Menschen zündeten ein Friedenslicht an.

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