Ich bin meinen Kolleginnen sehr dankbar, dass sie über Twitter und
Instagram immer wieder auf anzügliche Bemerkungen, zweideutige
Anspielungen, Fotos von «Unter-der-Gürtellinie» und andere sexistische
Übergriffe hinweisen und es nicht aus Scham oder Angst verschweigen. Nur so kann sich etwas ändern. Denn was die Gleichstellung aller
Geschlechter angeht, gibt es analog und digital noch einiges
aufzuarbeiten und nachzuholen.
Nun ist es
aber so, dass es in der digitalen Kirche eine grosse Gruppe von Menschen gibt, die nicht nur in Bezug auf Pfarrerinnen ein veraltetes Frauenbild propagieren. Sieht man sich etwas auf Instagram um, findet man auch
schnell grosse Accounts mit mehreren Tausend Followern, die von der
Gleichwertigkeit aber nicht Gleichartigkeit von Mann und Frau reden und
ebenfalls betonen, dass sich die Frau dem Mann unterordnen soll. Der
Account «liebezurbibel», der im Übrigen von einer Frau betrieben wird,
hat aufgrund eines solchen Posts letzten Dezember grosses Aufsehen
erregt.
Instagram-Link zum Beitrag: L I E B E Z U R B I B E L (@liebezurbibel)
Während der Beitrag von vielen Evangelikalen gefeiert wurde, reagierten
liberale Theologinnen und Pfarrerinnen irritiert und versuchten das
Thema «Christ*in und Feminist*in sein», um das es im besagten Beitrag
geht, breiter zu diskutieren. Die Accountinhaber begann anschliessend
mit dem Blockieren von kritischen Gegenstimmen und schaltete letztlich
die Kommentarfunktion unter ihrem Beitrag aus, so dass niemand mehr
darauf reagieren konnte.
Erstaunlicherweise wird in einem aktuellen
Beitrag von «liebezurbibel» ein ganz anderer Ton angeschlagen: «Lass
dich als Frau nicht nur auf den Küchen- und Dekodienst reduzieren.» Um
diese Aussage zu untermauern, werden verschiedene Frauen aus der Bibel
angeführt, die einiges gewagt und geleistet haben. Auch Dinge, die
gemäss der Argumentation vom Dezember nicht der Art der Frau
entsprechen. Wie das genau zusammenpasst, erschliesst sich mir nicht.
Muss es ja aber auch nicht...
«Lies doch mal die Bibel!!!»
Es gibt ein Argument, das in den Kommentaren auf Instagram sehr häufig
verwendet wird. Wenn es auftaucht, ist klar, dass es bald sehr
unfreundlich zu und her geht. Denn die «Schützengräben», die es
aufreist, können nicht überwunden werden. Die Sätze, die dieses Argument enthalten, tönen alle ähnlich:
«Wenn du die Bibel lesen würdest, wüsstest du das.»
«Deine Haltung zeigt, dass du die Bibel nicht gelesen hast.»
«Ein Blick in die Bibel lohnt sich.»
«Lies doch mal die Bibel!!!»
So, wie diese vier Aussagen hier stehen, wirken sie eigentlich recht
harmlos. Nicht aber, wenn sie als Reaktion auf einen Post in den
Sozialen Medien erscheinen. Denn es handelt sich nie um einen
freundlichen Hinweis, wieder einmal in der Bibel zu lesen, weil man dazu selten Zeit findet. Nein, es geht darum, mit diesem Argument jemandem
den Glauben abzusprechen und sich selbst als Person mit dem «richtigen
Glauben» zu profilieren.
Meist tauchen
solche Kommentare auf, wenn es um Themen wie LGBTQ, Homosexualität in
der Bibel oder Sex vor der Ehe geht. Wer sich für Queers einsetzt und
betont, dass auch sie von Gott geliebt sind und ihre sexuelle
Orientierung keine Sünde, sondern völlig okay ist, kann damit rechnen,
dass die obigen Sätze nicht lange auf sich warten lassen.
Ebenso ergeht
es all jenen, die auf eine voreheliche Sexualität verweisen, die auf
gegenseitiger Achtung und Respekt beruht. Bei diesen Themen prallen
nicht nur Welten, sondern auch Fronten aufeinander. Deshalb ist ein
rücksichtsvoller Austausch oder ein interessiertes Nachfragen auf
Augenhöhe meist nicht möglich.
Aber – und
das muss ich an dieser Stelle unbedingt betonen – es geht
glücklicherweise auch anders. Es gibt Leute, die kein Geheimnis um ihre
persönliche Haltung machen, sich aber gerne mit andersdenkenden und
andersglaubenden Menschen unterhalten, sich selbst hinterfragen und auch einmal um Entschuldigung bitten, wenn sie jemandem zu nahegetreten
sind. Bei solchen gelungenen Diskussionen fordert man sich aber auch
nicht gegenseitig auf, die Bibel zu lesen...
Instagram-Video vom deutschen Pfarrer Nico Ballmann zum Thema:
Nico Ballmann auf Instagram: «Ich war lange sehr freundlich und habe mir
Zeit genommen, um auch mit Menschen zu diskutieren, die andere aufgrund
ihrer Sexualität oder…»
«Du widersprichst dir damit selbst»
Wer nun meint, dass sich gewisse «Schlachten» nur zwischen Frauen und
Männern oder evangelikalen und liberalen Lagern abspielen, täuscht sich
gewaltig. Auch innerhalb einer eher homogenen «Kirchen-Bubble», in der
sich alle gegenseitig folgen, kann es zu Meinungsverschiedenheiten und
gegenseitigem Blockieren kommen.
Das
jüngste Beispiel zeigt ein Post vom deutschen Pfarrer Nico Ballmann, der die Diskussionskultur der digitalen Kirche kritisierte. Er ist schon
länger dabei und findet, dass sich seither einiges zum Schlechteren
verändert hat.
Seine Erkenntnis zeigt er anhand verschiedener Beispiele
auf, die selbst sehr emotional beladen sind und zuvor entsprechend
hitzig diskutiert wurden. Von lobendem Beifall bis hin zu totalem
Unverständnis gegenüber seinen Ausführungen war so ziemlich alles dabei.
Viele in der «Kirchen-Bubble» meldeten sich zu Wort, es gab ein
Insta-Live-Gespräch, verschiedene Stories etc. Dabei fand ein
regelrechter Schlagabtausch an Argumenten statt, der teilweise auf der
Widersprüchlichkeit einzelner Aussagen aufbaute. Und obwohl man sich
innerhalb einer Bubble sonst sehr schätzt und gegenseitig unterstützt,
kann es dann doch zum Entfolgen oder gar zum gegenseitigen Blockieren
kommen.
Rückblickend lässt sich sagen,
dass sich der ganze Austausch auf sehr hohem theologischen Niveau
bewegte, so dass ich mich an die kontroversen Diskussionen während
meines Studiums erinnerte, die doch im einen oder anderen Seminar
aufkamen …
Instagram-Post «Wer nicht für uns ist, ist gegen uns» von Nico Ballmann: Nico Ballmann (@einschpunk)
Instagram-Live-Gespräch zum Thema «Diskussionskultur in der digitalen Kirche»: Veronika Rieger
(@riegeros)
Kleiner Hinweis zum Schluss
Meine Beispiele sogenannter «Schlachten» innerhalb der digitalen Kirche sind
alle aus Deutschland. Warum? Die digitale Kirche ist dort breiter
aufgestellt, weshalb es auch vermehrt zu Auseinandersetzungen kommt. In
der Schweiz sind wir noch ein überschaubares Grüppchen, das
glücklicherweise auch bei unterschiedlichen Ansichten sehr wohlwollend
miteinander umgeht. :-)