Spezial 17. Dezember 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Was Konfirmandinnen in einem Online-Kurs der Kirche lernen

Serie Kirche digital

Die digitale Welt im Griff? Das haben sie wohl – trotzdem lernen Konfirmandinnen und Konfirmanden in einem Kurs zur digitalen Kirche noch einiges. Und das auch mit Spass.

«Die digitale Kirche ist etwas für die Jungen!» Diese Aussage taucht immer wieder auf, wenn es ums Thema der Kirche im digitalen Raum und ihren Stellenwert geht. Fakt ist, dass es die Jungen so gar nicht gibt, wie es dieser Satz vorgibt.

Egal auf welchem Social-Media-Kanal man unterwegs ist, man trifft viele verschiedene Altersstufen an. Eben auch das Grosi, das durch die Pandemie Zoom-Gottesdienste für sich entdeckt hat. Gerade die «ganz Jungen» - also die 15- und 16-jährigen Konfirmandinnen und Konfirmanden - sind jedoch deutlich untervertreten. Dies liegt nicht ausschliesslich am mangelnden Interesse für Glaube und Spiritualität, sondern vor allem am mangelnden Wissen.

Entdecken Sie Neues beim Blog «Kirche digital»

Im Internet und in den sozialen Medien sind zahllose spannende Perlen von Kirche «in Digital» zu entdecken. Die Pfarrerin Yvonne Witschi aus Thun macht diese Erfahrung ständig aufs Neue. Nun stellt sie ihre Entdeckungen in der Serie «Kirche digital» monatlich vor. Ihre Profile auf Instagram und Twitter:

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https://twitter.com/YvonneWitschi

Meist kennen Konfirmandinnen und Konfirmanden die Kirche nur so, wie sie diese im Rahmen ihres Unterrichts in den vergangenen Schuljahren erlebt haben. Ziemlich klassisch also. Wobei es durchaus Kirchgemeinden gibt, die ihren Jugendlichen so manches bieten und sie genau dort abholen, wo sie sich befinden.

Ja, manche schaffen es sogar, nach der Konfirmation Kontakt zu halten und entsprechende Angebote für junge Erwachsene zu schaffen. Es bleiben aber leider Ausnahmen. Viel zu oft gibt es nach dem grossen Segnungsfest einen deutlichen Bruch. Mit etwas Glück werden Jahre später eine kirchliche Trauung oder eine Taufe zum Thema. Aber auch das ist längst nicht mehr selbstverständlich.

Gott und Glaube sind eben nicht nur in der Kirche möglich, sondern im Alltag, auf dem Smartphone, in Gemeinschaft!
Lea Zeiske, Theologiestudentin

Das Interesse wecken

Auch die reformierte Kirchgemeinde Unterseen ist sich dieses «Trends» bewusst und bietet deshalb zum zweiten Mal einen Wahlfachkurs für Konfirmandinnen und Konfirmanden an, um mit ihnen zusammen die digitale Kirche zu entdecken. Das wichtigste Werkzeug in diesem Kurs ist gleichzeitig der meistbenutzte Gegenstand der Jugendlichen: Ihr Smartphone.

Die Idee zu diesem Kurs hatte die Theologiestudentin Lea Zeiske, die sich bereits einige Jahre ehrenamtlich in der Kirchgemeinde engagiert. Sie meint dazu: «Die Jugendlichen zu befähigen, allfällige Bedürfnisse nach Glaube, Spiritualität, Sinnfragen, Gottesdiensten, Gemeinschaft und anderes mehr online zu leben oder dort Angebote zu finden, ist mir ein wichtiges Anliegen. Gott und Glaube sind eben nicht nur in der Kirche möglich, sondern im Alltag, auf dem Smartphone, in Gemeinschaft!»

Genau das ist die Lebensrealität der heutigen Jugend, die in einer Welt der Digitalität aufwächst. Sie kann in einem normalen Sonntagmorgengottesdienst mit einer ihr fremden Sprache und Musik keinen Mehrwert erkennen. Etwas, das Lea Zeiske nur zu gut verstehen kann: «Meine Unterhaltung ist mit Podcasts, Video-Streaming, Spotify usw. immer Zeit unabhängig zugänglich und aufgrund von meinen individuellen Interessen zusammengestellt. Viel Kommunikation, Organisation und Terminplanung laufen online. Dieser Trend zeichnet sich auch bei Jugendlichen stark ab.»

Deshalb erscheint es Lea Zeiske dringend notwendig, den Jugendlichen die vorhandenen digitalen Möglichkeiten zu zeigen und im besten Fall ihr Interesse dafür zu wecken.

Meine Unterhaltung ist mit Podcasts, Video-Streaming, Spotify usw. immer Zeit unabhängig zugänglich und aufgrund von meinen individuellen Interessen zusammengestellt.
Lea Zeiske, Theologiestudentin

Mit dieser Idee stiess die Theologiestudentin bei der Pfarrerin Christine Sieber auf offene Ohren. Schnell stand fest, dass man gemeinsam einen solchen Wahlfachkurs für die Jugendlichen planen und anbieten möchte.

Nach der Lockdownversion nun «richtig»

Aufgrund der Corona-Massnahmen musste die Kirchgemeinde den ersten Wahlfachkurs im Januar 2021 in digitaler Form durchführen. Obwohl das auf den ersten Blick äusserst passend erscheint, war dem leider nicht so. Technisch stellte es für alle Beteiligten eine grosse Herausforderung dar. Auch die Mitarbeit der Jugendlichen, die eine gewisse Aufmerksamkeit erfordert, gestaltete sich deutlich anders als im analogen Setting.

Dass die beiden Kursleiterinnen die Jugendlichen noch nicht kannten, erschwerte das Arbeiten in der Gruppe ebenfalls. Dennoch zeigte sich das wachsende Interesse der Jugendlichen und ihr Erstaunen darüber, dass auf ihre Initiative hin ein Instagram- und TikTok-Account für die Kirchgemeinde eröffnet und mit ihren eigenen Beiträgen und Videos bespielt wurden.

Durch die Erfahrungen des letzten Jahrgangs wurde der Kurs von Christine Sieber und Lea Zeiske überarbeitet und inhaltlich ergänzt, so dass die aktuellen Konfirmandinnen und Konfirmanden Ende Oktober von einem abwechslungsreichen Programm inklusive Gästinnen profitieren konnten – ganz analog im Schloss Unterseen.

Auch die dunklen Seiten der digitalen Welt beleuchten

In einem ersten Teil standen die Vorstellung der digitalen Möglichkeiten und Angebote bezüglich Glaube und Spiritualität im Zentrum des Kurses. Vorgestellt wurde beispielsweise das gemeinsame Gebet #twomplet auf Twitter, bekannte Apps und Accounts auf Instagram und YouTube, die im Rahmen dieser Beitragsreihe ebenfalls erwähnt wurden.

Den Kursleiterinnen war es zudem wichtig, den Jugendlichen aufzuzeigen, wo sie im Fall der Fälle seelsorgerische Hilfe erhalten. Auch Cybermobbing und Fundamentalismus im Netz, also die Schattenseiten der digitalen Kirche, wurden entsprechend beleuchtet.

Schnell wurde deutlich, dass die Jugendlichen digital sehr vieles kennen, nicht aber in Verbindung mit Kirche. Eine Umfrage ergab, dass die Jugendlichen im Vorfeld kaum eine konkrete Erwartungshaltung gegenüber dem Kurs hatten. Lediglich eine Person gab an, Interesse am Kennenlernen von christlichen Influencerinnen und Influencer zu haben. Wie passend also, dass die Gastreferentinnen, Evelyne Baumberger vom RefLab und Claudia Steinemann von Holy Shit, via Videokonferenz zugeschaltet wurden.

Die Beiträge der Konfirmandinnen und Konfirmanden

Wer sich für die Beiträge interessiert, kann gerne auf den Accounts der Kirchgemeinde Unterseen vorbeischauen:

Instagram: Kirchgemeinde Unterseen (@unterseen_kirche.ch)
TikTok

Diese beiden Begegnungen kamen bei den Jugendlichen sehr gut an und waren zugleich Ansporn für den zweiten Teil des Kurses. Darin ging es ums Planen und Gestalten eigener Beiträge für die Social-Media-Kanäle der Kirchgemeinde. Gerade der Hinweis von Claudia Steinemann, etwas zu machen, das ihnen gefällt und durchaus provokativ sein darf, ermutigte die Jugendlichen, sich entsprechend auszuprobieren. Der im Kurs kreierte Content wird nun in lockerer Folge auf dem Instagram- und TikTok-Account der Kirchgemeinde aufgeschaltet.

Bildschirmzeit bis zu 8 Stunden pro Tag

Die Konfirmandinnen und Konfirmanden hatten grossen Spass daran, ihre Smartphones im Unterricht zu nutzen und Videos zu machen. Erstaunlich ist das nicht, da es für die Jugendlichen zum Alltag gehört. Dies zeigt auch ihre Bildschirmzeit, nach der sie im Kurs gefragt wurden und die sich irgendwo zwischen 1,5 und 8 Stunden pro Tag bewegt.

Fazit: Neue Erkenntnisse können neue Wege bereiten

Obwohl sich nur knapp die Hälfte der Jugendlichen vorstellen kann, eine für sie besonders interessante Sache weiterzuverfolgen, bin ich persönlich vom Erfolg des Kurses überzeugt. Sie kennen nun auch eine andere Seite von Kirche und Glaube, und sie wissen, dass beides in ihrer Hosentasche mitreist und nur ein Wisch entfernt ist. Wer weiss, in welcher Situation sie sich daran erinnern und im digitalen Raum «auf die Suche» gehen. Immerhin können bis auf eine Person alle den Wahlfachkurs weiterempfehlen. Und das spricht eindeutig für sich. Deshalb ein grosses Dankeschön an Christine Sieber und Lea Zeiske für ihr Engagement und die Bereitschaft, ihre Erfahrungen in diesem Online-Beitrag zu teilen!

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