Spezial 28. August 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Netzwerke statt Gemeinden – Arbeit in der digitalen Kirche

Serie Kirche digital

Sie heissen RefLab, Yeet, Ruach und Jeda: Digital sind «Communities» Plattformen statt Kirchgemeinden. Yvonne Witschi-Minder stellt einige vor und sagt, was warum Kritik erntet.

Obwohl es einige Kirchgemeinden gibt, die auf den Sozialen Medien wie Facebook oder Instagram präsent sind, hat der Inhalt meist analogen Charakter. So werden beispielsweise bevorstehende Veranstaltungen beworben oder es wird auf besondere Anlässe zurückgeblickt. Die «Zielgruppe» solcher Kirchgemeinde-Accounts sind somit die Mitglieder der Ortsgemeinde, welche sich nebst der Kirchenzeitung und dem Amtsanzeiger auch über Social Media informieren möchten. Dass sich dabei die Followerzahlen in Grenzen halten und der jüngste Post meist etwas länger zurückliegt, verwundert daher nicht. Wohl auch, weil das nicht die digitale Kirche ist.

Entdecken Sie Neues beim Blog «Kirche digital»

Im Internet und in den sozialen Medien sind zahllose spannende Perlen von Kirche «in Digital» zu entdecken. Die Pfarrerin Yvonne Witschi aus Thun macht diese Erfahrung ständig aufs Neue. Nun stellt sie ihre Entdeckungen in der Serie «Kirche digital» monatlich vor. Ihre Profile auf Instagram und Twitter:

https://www.instagram.com/witschiyvonne/

https://twitter.com/YvonneWitschi

Diese spielt sich meist woanders und auf eine völlig andere Art ab. Nicht selten in Verbindung mit persönlichen Accounts von haupt-, neben- und ehrenamtlichen Kirchenmenschen, welche die Follower mit in ihren Alltag nehmen, von ihrem Glauben erzählen und beispielsweise Andachten, gemeinsame Gebete, Podcasts oder Ähnliches anbieten. Hier kommen dann häufig die Netzwerke der digitalen Kirche ins Spiel, welche Kontakte, Austausch und Know-how zur Verfügung stellen und gleichzeitig für die nötige «Sichtbarkeit» sorgen. Aber was sind Netzwerke eigentlich und was machen sie genau? Im Folgenden werden einige vorgestellt und kommen in kurzen Videos auch selbst zu Wort …

RefLab – Online-Community mit Netzwerkcharakter

Das Reformierte Laboratorium – kurz RefLab – ist ein Projekt der Reformierten Kirche Zürich, welches im Januar 2020 gestartet ist. Unter dem Motto «Less noise – more conversation» veröffentlicht das RefLab-Team Podcasts, Blog-Beiträge, Filme und Posts. Dabei geht es in erster Linie nicht ums blosse «Bereitstellen» eines breiten Angebots, sondern darum, ins Gespräch zu kommen, sich auszutauschen und miteinander über den Sinn des Lebens sowie existenzielle Fragen nachzudenken – mehr Konversation eben. Gerade damit hat das RefLab auch jüngere Menschen im Blick, die mit der Kirche wenig oder nichts anfangen können, sich aber dennoch für Glaubensfragen, Spiritualität und theologische Themen interessieren. Der Erfolg, der definitiv nicht nur mit der Pandemie zu tun hat, zeigt, dass das Konzept aufgeht. Das ist sicherlich auch auf die interessante Zusammensetzung des Teams zurückzuführen. Die einzelnen Charaktere werden deutlich spürbar und lassen die Beiträge nicht nur vielseitig, sondern vor allem persönlich daherkommen. Dadurch wird das RefLab lebendig und kommt witzig, ernst, tiefgründig, berührend, entspannend und ab und an auch provokativ daher. Da ist effektiv für jede/jeden etwas dabei...!

YEET – das evangelische Contentnetzwerk

Das evangelische Contentnetzwerk YEET startete im Februar 2020, nachdem der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) einen entsprechenden Beschluss verabschiedet hatte. Der Name YEET stammt vom englischen «Yeet!», welches ein Ausdruck von Freude ist und einem betonten «yes»/ «ja» entspricht. So kann man auf der Website des Netzwerkes lesen: «Ja, wir wollen – wir wollen Menschen zeigen, die begeistert und offen für ihren Glauben und ihre Werte einstehen.»

Diese Menschen, die sogenannten Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer, werden durch die YEET-Redaktion im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) unterstützt. Dabei geht es einerseits um die Vernetzung, das Ausarbeiten passender Formate, die redaktionelle Begleitung und Beratung, andererseits auch um Technik, Community-Management, Analyse, Marketing und Werbung. Auf diese Weise können alle Beteiligten voneinander profitieren und sich gegenseitig unterstützen.

Schaut man sich die Sinnfluencer*innen von YEET an, findet man eine grosse Vielfalt in Bezug auf Frömmigkeitstypen, Alter und Berufe vor. Diese Durchmischung wird bewusst gesucht, um den christlichen Glauben in seinem breiten Spektrum auf Social Media sichtbar zu machen und sich mit der Zielgruppe von 14- bis 39-Jährigen auszutauschen.

Seit dem Start anfangs 2020 sind einige Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer hinzugekommen. Gerade auch solche, die noch mitten in ihrer beruflichen Ausbildung stehen. So dürfen wir gespannt sein, wie sich YEET und seine Mitglieder weiterentwickeln werden.

ruach.jetzt ist sowohl ein Netzwerk als auch ein Unternehmen, das sich nach dem Motto «Wann lernt deine Vision laufen?» für eine zeitgemässe und innovative Glaubenskommunikation und Verkündigung einsetzt.

Gegründet wurde ruach.jetzt 2016 vom katholischen Theologen Tobias Sauer. Als Designer, Referent und Kommunikationsberater hilft er nicht nur Ideen und Konzepte im Rahmen von Auftragsarbeiten umzusetzen, sondern gestaltet mit mittlerweile über 20 ehrenamtlichen Creators auch viele eigene Projekte. Podcasts, Blogs, Livetalks, aber auch wiederkehrende Aktionen beispielsweise auf Instagram, eine christliche Modekollektion und christliches Yoga gehören zu ruach.jetzt. Und das ist noch nicht alles. Auf der Website und im Shop wird etliches angeboten – gerade dann, wenn man die eigene Achtsamkeit und Spiritualität (neu) entdecken möchte.

All das zeigt, dass der Name ruach.jetzt Programm ist. Er enthält nämlich das hebräische Wort rûaḥ, welches für «Wind, Atem, Geist, Energie, Lebenskraft» steht und in der Bibel eine zentrale Rolle spielt. Der mehrdeutige Begriff beschreibt eine Kraft, die nur schwer fassbar ist, jedoch alles möglich werden lässt. Wer also «Windhauch» kennenlernen oder selber säen möchte, ist bei ruach.jetzt genau richtig.

jeda – das selbstverwaltete Netzwerk

jeda ist das jüngste unter den vorgestellten Netzwerken: Im März 2021 feierte es auf Instagram seinen offiziellen Start. Die Plattform wurde von einem siebenköpfigen Team gegründet. Dazu gehören die Pfarrerinnen Tabea Kraaz, Jessica Hamm, Lisa Tumma, Nena Baumüller, der Pfarrer Jan Scheunemann, der Theologe und Vikar Lukas Hille und die angehende Gemeindepädagogin Stella Berker.

Das selbstverwaltete Netzwerk in der digitalen Kirche will verbinden, unterstützen, entwickeln und vor allem, wie der Name sagt, für jede und jeden offen sein. Es zählt bereits 21 Mitglieder aus verschiedenen kirchlichen oder christlichen Arbeitsfeldern und wird wohl noch wachsen. Der gleichberechtigte gegenseitige Austausch und die Unterstützung beim Planen von Projekten stehen deutlich im Zentrum. Die Mitglieder selbst vergleichen die gemeinsamen (digitalen) Treffen mit einem Barcamp oder einem Stammtisch, was die Idee und die Haltung hinter diesem Netzwerk spürbar werden lässt.

Ein eindrückliches Projekt, das durch jeda ins Leben gerufen wurde, ist im_puls auf Instagram. Auf kreative und künstlerische Art werden Bibeltexte in Videos zum Klingen gebracht. Dabei lässt sich so mancher Bibelvers – ja, auch die ungeliebten – noch einmal ganz neu erfahren.

Empfehlenswert ist ebenfalls «SALT N’ LIGHT», der wöchentliche Andachts-Podcast, den Pfarrerin Jessica Hamm ins Leben gerufen hat und mittlerweile Impulse von verschiedenen jeda-Mitgliedern veröffentlicht. Anzuhören überall dort, wo es Podcasts gibt.

Trotz viel Herzblut gibt es auch Kritik

An dieser Stelle möchte ich mich bei den Netzwerken nicht nur für das Bereitstellen der kurzen Filme, sondern auch für die grossartige Arbeit im Allgemeinen bedanken! Egal bei welcher Plattform ich «vorbeischaue», egal welche Sinnfluencerinnen und Sinnfluencer mich am meisten ansprechen, es stecken sehr viel Herzblut und noch mehr Arbeit hinter jedem einzelnen Account oder hinter jedem einzelnen Projekt. Das darf, soll und muss entsprechend gewürdigt werden!

Weshalb weise ich hier ausdrücklich darauf hin? Im vergangenen Jahr wurde gerade auf Instagram immer wieder Kritik an den Netzwerken laut. Es begann mit kurzen, jedoch teilweise scharfen Statements zu ausufernden «Story-Gesprächen» unter den grossen Accounts, in denen es um Fitness, Kaffeegetränke oder ums gegenseitige Teilen von Posts ging. Und ich gebe zu, auch mir wurden diese «Gespräche» manchmal zu viel. Aber das ist wohl nicht nur auf das eintönige Lockdown-Leben, sondern auch auf das Ausprobieren und Sich-Finden zurückzuführen, wenn man beispielsweise an den Start von YEET im Februar 2020 denkt. Daher verwundert es nicht, dass es in diesem Bereich nun etwas ruhiger geworden ist.

Die Kritik ging aber noch weiter und erreichte ihren Höhepunkt nach dem Ökumenischen Kirchentag, der im Mai 2021 in Frankfurt stattfand. Auslöser war der Füreinander-Stream, den YEET und ruach.jetzt organisiert haben. Dieser 24-Stunden-Livestream wurde parallel zum ÖKT ausgestrahlt, um Spenden für United4Rescue zu sammeln. Es gab Talkshows, Andachten, Reportagen, Konzerte und vieles mehr mit den bekannten Mitgliedern der beiden Netzwerke.

Immer die gleichen Gesichter?

Gerade diese bekannten Gesichter gaben Anlass zu negativen Äusserungen, wonach immer die gleichen Personen gezeigt würden, um die digitale Kirche zu repräsentieren. Von Elitedenken, zu viel Macht, Ausschluss und Neid war die Rede, was die grosse Arbeit und auch den Spendenerfolg des Livestreams in den Hintergrund rücken liess.

Natürlich sind eine kritische Auseinandersetzung und gegenseitiges Diskutieren wichtig. Auch, um sich zu entwickeln und weiterzukommen. Was in der analogen Kirche oft zu kurz kommt oder eher im Verborgenen brodelt, entlädt sich im Digitalen häufig lauter und vor allem gnadenloser. Ich denke, gerade da wäre es angebracht, grosszügiger zu werden, sich selbst und die eigenen Befindlichkeiten etwas zurückzunehmen und das grosse Ganze im Auge zu behalten. Immerhin geht es um nichts Geringeres als die Verkündigung des Evangeliums im digitalen Raum. Hierbei ist ein respektvolles Miteinander sicherlich dienlicher und bereitet auch mehr Freude. Genau das ist die Stärke der Netzwerke!

Instagram-Posts rund um den ÖKT, den Füreinander-Stream und die Netzwerke

Mehr zu diesem Thema

Warum mit Smartphones aufgewachsene Konfirmanden in einem Kurs Neues der digitalen Kirche entdecken
17. Dezember 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Warum mit Smartphones aufgewachsene Konfirmanden in einem Kurs Neues der digitalen Kirche entdecken

Ob digital, im Netzwerk, Quartier oder Ort: Kirche mit Kernauftrag und Innovation ist gefordert
29. Oktober 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Ob digital, im Netzwerk, Quartier oder Ort: Kirche mit Kernauftrag und Innovation ist gefordert

«Piep, piep!» - Gott im Smartphone? Was drei Apps mit kirchlichem Hintergrund tun – und was nicht.
21. September 2021, von Yvonne Witschi-Minder

«Piep, piep!» - Gott im Smartphone? Was drei Apps mit kirchlichem Hintergrund tun – und was nicht.

Wenn in der Kommentarfunktion mitgebetet und im Breakout-Raum mitgeredet werden kann
28. Juli 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Wenn in der Kommentarfunktion mitgebetet und im Breakout-Raum mitgeredet werden kann

Reichweite, Klicks und Likes in den Sozialen Medien – was bitte ist da christlich daran?
25. Juni 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Reichweite, Klicks und Likes in den Sozialen Medien – was bitte ist da christlich daran?

Geschlechterfragen und Bibeltreue – wenn in der digitalen Kirche Schlachten ausgetragen werden
26. Mai 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Geschlechterfragen und Bibeltreue – wenn in der digitalen Kirche Schlachten ausgetragen werden

Von aktiv, urban, über verbindend, erfrischend bis berührend: Schweizer Formate der digitalen Kirche
28. April 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Von aktiv, urban, über verbindend, erfrischend bis berührend: Schweizer Formate der digitalen Kirche

Häh? Digitale Kirche? Was soll das sein? Eine Begriffsklärung und ein Aufräumen unter Vorurteilen.
22. März 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Häh? Digitale Kirche? Was soll das sein? Eine Begriffsklärung und ein Aufräumen unter Vorurteilen.

Auftakt zur Serie «Kirche digital»: Pfarrerin Yvonne Witschi will über Grenzen hinweg verbinden
24. Februar 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Auftakt zur Serie «Kirche digital»: Pfarrerin Yvonne Witschi will über Grenzen hinweg verbinden

Thomas Schlag zum neuen Forschungsschwerpunkt: «Religion ist wesentlicher Faktor für viele Menschen»
20. August 2020, von Marius Schären

Thomas Schlag zum neuen Forschungsschwerpunkt: «Religion ist wesentlicher Faktor für viele Menschen»

Chancen und Gefahren der digitalen Kirche: «Man kann auch online offline gehen»
01. Juli 2020, von Toni Schürmann/kirchenbote-online.ch

Chancen und Gefahren der digitalen Kirche: «Man kann auch online offline gehen»

Der Online-Gottesdienst als Brennglas: «Es zeigt sich, was in der bisherigen Praxis nicht stimmt»
27. Mai 2020, von Felix Reich

Der Online-Gottesdienst als Brennglas: «Es zeigt sich, was in der bisherigen Praxis nicht stimmt»

Sanfte Annäherung an die digitale Kirche: Warum das Gemeindeleben auf Social Media anspruchsvoll ist
25. März 2020, von Marius Schären

Sanfte Annäherung an die digitale Kirche: Warum das Gemeindeleben auf Social Media anspruchsvoll ist

29. Mai 2019, von Constanze Broelemann

Beten auf Twitter

29. Mai 2019, von Anouk Holthuizen

«Mit dem Baby im Arm wurde ich zur Vorbeterin»

29. Mai 2019, von Sabine Schüpbach Ziegler

«Mehr Digitales wäre extrem einfach»

29. Mai 2019, von Nicola Mohler

«Die digitale Welt hat mir Freiraum eröffnet»

29. Mai 2019, von Marius Schären

«Beides funktioniert nur noch miteinander»

29. Mai 2019, von Christa Amstutz Gafner

«Im digitalen Raum ist Platz für Debatten»

Braucht die Kirche mehr Influencer?
02. Mai 2019, von Katharina Kilchenmann

Braucht die Kirche mehr Influencer?

Ich glaub', ich twitter ...
25. März 2019

Ich glaub', ich twitter ...