Spezial 28. Juli 2021, von Yvonne Witschi-Minder

Willkommen in Gottes Zoomraum

Serie Kirche digital

Der klassische Gottesdienst findet live in der Kirche statt. Kommt dieselbe Stimmung auf, wenn die Liturgie online stattfindet? Yvonne Witschi-Minder hat Angebote getestet.

Sonntagmorgen. Läutende Glocken. Ein kühles Kirchenschiff. Unbequeme Bänke oder Stühle. Bunte Fenster. Orgelklänge. All das sind «Zutaten» eines Gottesdienstes, so wie er traditionell in den Kirchen gefeiert und von vielen Menschen – auch von kirchenfernen – gedacht wird. Dass diese «Zutaten» nicht sakrosankt sind und ein Gottesdienst auch mit deutlich weniger oder anderem «Drumherum» gelingt, zeigt nicht nur das breite Angebot der analogen und digitalen Kirche, sondern vor allem der Blick in die Bibel:
Denn wo zwei oder drei Menschen in meinem Namen zusammenkommen, da bin ich selbst in ihrer Mitte. (Matthäus 18,20)

Workshop war rasch ausgebucht

Mehr braucht es also nicht. Ausser vielleicht einem Laptop oder einem Smartphone, einer Internetverbindung, einem Meeting-Programm und einem Zugangslink. Und schon heisst es: «Willkommen in Gottes Zoomraum». Mit diesem Titel wurde Anfang Jahr ein kostenloser Online-Workshop vom evangelischen Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik in Hildesheim (Michaeliskloster) angeboten. Das Interesse war sehr gross, weil durch die Pandemie etliche Kirchgemeinden nicht nur aufgezeichnete Gottesdienste oder Livestreams anbieten wollten. Auch das Feiern über Zoom boomte, da diese Form tatsächlichen Austausch und eine spürbare Gemeinschaft möglich machte.

Doch wie lässt sich eine besinnliche Andacht gestalten, wenn das Programm eigentlich für geschäftliche Videokonferenzen vorgesehen ist und dadurch der Grundton eher nüchtern ausfällt? Diese Frage wollten etliche «Kirchenmenschen» für sich klären. Dass der Workshop schnell ausgebucht war und kurz darauf weitere Daten für denselben Kurs ausgeschrieben wurden, verwundert daher nicht. Glücklicherweise konnte ich mir bereits am ersten Abend einen Platz sichern...

Also doch! Feierlich, besinnlich, andächtig, stärkend...

Wie kam ich dazu, mich überhaupt für diesen Workshop anzumelden? Bereits in meinem Maibeitrag zu den Schweizer Formaten in der digitalen Kirche habe ich geschrieben, dass ich bei einem Zoom-Gottesdienst von «Brot & Liebe» eine Geschichte beisteuern durfte. Schon vorher habe ich mir die Sache einmal angeschaut. Und was soll ich sagen; ich sass vor meinem Laptop und war ziemlich skeptisch, ob mich ein solches Format tatsächlich ansprechen würde. Ich persönlich liebe das Gestalten und Halten von klassischen Sonntagmorgengottesdiensten mit allem, was eben dazugehört. Daher konnte ich mir nicht vorstellen, wie eine besinnliche Stimmung aufkommen sollte, wenn die Augen nicht in einem Kirchenraum umherschweifen, sondern lediglich von Zoom-Kachel zu Zoom-Kachel springen können.

Glücklicherweise fand mein Grübeln ein rasches Ende, als die Livemusik über den Lautsprecher ertönte und dabei erstaunlich gut klang. Auch die Gemeinschaft wurde für mich schnell spürbar, was nicht nur dadurch zustande kam, weil man die Mitfeiernden direkt von Angesicht zu Angesicht in ihren eigenen vier Wänden sah, sondern auch durch die Möglichkeit des Mitbetens über die Kommentarfunktion und den direkten Austausch in den Breakout-Räumen. Wobei Letzteres sicherlich nicht jeden Geschmack trifft, da es sehr persönlich wird. Mein Interesse für Zoom-Gottesdienste und ihre Möglichkeiten war somit geweckt und ich zögerte nicht lange, als ich über Instagram vom Workshop des Michaelisklosters erfuhr.

Entdecken Sie Neues beim Blog «Kirche digital»

Im Internet und in den sozialen Medien sind zahllose spannende Perlen von Kirche «in Digital» zu entdecken. Die Pfarrerin Yvonne Witschi aus Thun macht diese Erfahrung ständig aufs Neue. Nun stellt sie ihre Entdeckungen in der Serie «Kirche digital» monatlich vor. Ihre Profile auf Instagram und Twitter:

https://www.instagram.com/witschiyvonne/

https://twitter.com/YvonneWitschi

Der Workshop war in vier Themenbereiche gegliedert. Dazu gehörten technische und rechtliche Hinweise bezüglich des Abspielens von Musik, damit es einerseits gut klingt und andererseits alle Urheberrechte eingehalten werden. Ebenso wurde über die verschiedenen Sicherheitseinstellungen informiert, welche Zoom bietet, damit Hacker und Störenfriede den Gottesdienst nicht unterbrechen können. Was leider bei «Brot & Liebe» tatsächlich einmal passiert ist. Zudem erzählten zwei Pfarrkolleginnen von ihren bisherigen sehr positiven Erfahrungen, und eine Mitarbeiterin des Michaelisklosters führte zwischendurch besinnliche Übungen durch, um aufzuzeigen, was über Zoom alles möglich ist – gerade auch, was das Interagieren mit den verschiedenen Teilnehmenden angeht.

Den Gottesdienst aktiv mitgestalten

Die Teilnehmenden werden bei einem Zoom-Gottesdienst schon von Anfang an miteinbezogen. Es beginnt mit dem gemeinsamen Entzünden einer Kerze, was ein starkes Symbol des Ankommens und Innehaltens ist, wenn plötzlich in allen Zoom-Kacheln nebst einem Gesicht auch eine Flamme zu sehen ist. Ebenso wirken die Gebete plötzlich anders, da man eigene Gebetsanliegen in die Kommentare schreiben kann und diese beispielsweise laufend vom Liturgen / von der Liturgin laut verlesen werden. Dadurch kommt eine Gebetsgemeinschaft zustande, wie sie im klassischen Gottesdienst nicht möglich ist, wenn eine Person stellvertretend für alle Worte formuliert.

Es beginnt mit dem gemeinsamen Entzünden einer Kerze, was ein starkes Symbol des Ankommens und Innehaltens ist, wenn plötzlich in allen Zoom-Kacheln nebst einem Gesicht auch eine Flamme zu sehen ist.
Yvonne Witschi-Minder

Gleichfalls können kleine «Spielereien» zur Veranschaulichung eines Gebetes eingesetzt werden. Beispielsweise, wenn man anhand der Tastatur durchs Gebet leitet: Mit dem Finger über die Zahlen von eins bis neun streichen und sich überlegen, wo die eigene Stimmung gerade einzuordnen ist; die grösste aller Tasten ist die «Pause Taste» und lädt förmlich dazu ein, über die eigenen Ruhezeiten oder Leerstellen im Alltag nachzudenken. Die «Delete Taste» macht wiederum sichtbar, wo es gerade hakt oder schmerzt und erinnert daran, was man bei Gott gerne abgeben und somit aus dem eigenen Denken und Empfinden entfernen möchte.

Der Stille lauschen

Besonders berührend können auch kleine «Übungen» im Gottesdienstablauf sein, welche das momentane Umfeld der Teilnehmenden aufnimmt. Wenn plötzlich alle in die Stille lauschen sollen, um anschliessend in die Kommentare zu schreiben, was sie gerade gehört haben (z. B. Schnurren der Katze, Rauschen des Laptops, Klopfen der Heizung). Oder wenn sich jede/jeder einen Gegenstand, der gerade griffbereit ist, aussuchen soll, um ihn dann während der Lesung in die Kamera zu halten. Solche «Übungen» lassen die Mitfeiernden plötzlich sichtbar werden. Man erfährt etwas voneinander und fühlt sich dadurch verbunden, auch wenn es sich lediglich um Kleinigkeiten wie ein Geräusch oder einen Gegenstand handelt.

Ebenso gemeinschaftsstiftend kann die Segensschnur sein, welche am Schluss des Gottesdienstes von den Teilnehmenden in die Kamera gehalten wird, so dass sie genau durch die Mitte der Zoom-Kachel führt und das Verbindende des Segens sichtbar macht.

Persönlicher Ausblick

Der Workshop bestärkte mich sowohl durch die Erfahrungsberichte als auch durch die Übungen in meiner Haltung, dass Zoom-Andachten wesentlich mehr sein sollten als ein reiner Gottesdienstersatz während der Pandemie. Für mich könnten sie zu einem weiteren Angebot der Kirchgemeinden avancieren, das beispielsweise einmal im Monat anstelle eines traditionellen Sonntagmorgengottesdienstes zur Verfügung steht. Und da Distanzen über Zoom keine Rolle spielen, könnten sich problemlos mehrere Gemeinden für ein derartiges Projekt zusammenschliessen. Ich bin überzeugt, dass diese Mischung von analogen und digitalen Feiern durchaus gewinnbringend sein könnte. Und tatsächlich sehen das einige Kirchgemeinden auch so.

Links zu den Zoom-Gottesdiensten

Wer gerne einmal einen Zoom-Gottesdienst miterleben und mitfeiern möchte, darf sich die folgenden Websites aus der Schweiz und Deutschland anschauen. Momentan sind einige Angebote in der Sommerpause oder werden mit reduzierter «Besetzung» durchgeführt. Reinschauen lohnt sich aber trotzdem schon jetzt!

https://www.michaeliskloster.de/in-zeiten-von-corona/material-zoom-gottesdienste

https://brot-liebe.net/

https://www.reflu.ch/luzern-stadt/angebote/details/zoom-gottesdienste

https://www.kathsg.ch/DE/204/ZoomGottesdienste.htm

https://www.friedensgemeinde-pforzheim.de/page/283/digitale-gottesdienste

https://ankerpunkt-ka.de/

https://kg-gyhum.wir-e.de/konfirmand-innen

http://www.exodusgemeinschaft.de/

http://www.kirche-arnoldshain.de/gottesdienste/

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