Recherche 02. Mai 2019, von Katharina Kilchenmann

Braucht die Kirche mehr Influencer?

Digitalisierung

Das kirchliche Leben muss zunehmend auch im digitalen Raum stattfinden. Aber wie? An der Berner Messe Bea diskutierten Kirchenleute diese aktuelle Frage.

«Wie nähere ich mich dem Personalcomputer?» habe in den frühen Neunzigerjahren ein Ausbildungsangebot für kirchliche Mitarbeitende geheissen, erzählte der Synodalratspräsident Andreas Zeller durchaus selbstironisch in seinen Eröffnungsworten. Damals habe man noch heftig diskutiert, ob die Anschaffung von Computern auch wirklich nötig und sinnvoll sei.

Und die Anekdote, dass Sekretariatsmitarbeitende seinerzeit noch Lohnzuschlag bekamen, wenn sie Texte am PC bearbeiten konnten, Worte fett oder kursiv machen oder sie unterstreichen, löste viel Heiterkeit im Publikum aus. Damit wurde eines klar: Kaum jemand in kirchlichen Kreisen hat damals die Entwicklung der «Computerei» richtig eingeschätzt. Dadurch wurden wichtige Schritte zu spät eingeleitet oder gar verschlafen.

Die Digitalisierung macht die Welt besser

Charles Martig, Direktor der Katholischen Medienzentrums Zürich, kennt die aktuellen Entwicklungen in der digitalen Welt – und hat auch einige Lösungsvorschläge für die Kirche parat. Sein Referat begann er mit einem kleinen Zeitsprung nach vorne. Er zitierte renommierte Fachleute, sogenannte «Technologie-Evangelisten», die einen Quantensprung in der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz prognostizierten: Im Bereich Transhumanismus, so die These, werde es in rund fünfundzwanzig Jahren kaum noch einen Unterschied zwischen Mensch und Maschine geben. «Die künstliche Intelligenz wird somit der menschlichen ebenbürtig sein. Und diese Entwicklung macht die Welt besser. Das ist die gute Botschaft der Evangelisten der Technologie», sagte Martig.

Die Digitalisierung ist unser Untergang

Doch der Theologe und Medienwissenschaftler ist nicht nur interessiert an den neusten digitalen Trends und Chancen, er weist auch auf die Gefahren durch die Digitalisierung hin. Einerseits sei sie eine Bedrohung für Arbeitsplätze und das politische und gesellschaftliche Zusammenleben und belaste auch die realistische Wahrnehmung unserer Umwelt: Was ist fake, und was ist wahr? Besonders betonte Charles Martig die Gefahr, dass uns die grossen Technologiekonzerne wie Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft durch das intensive Datensammeln bald schon besser kennen als wir uns selber. «Wir liefern uns damit den Algorithmen aus. Das wird uns als Menschen in grosse Not bringen.»

Die Kirche braucht Influencer – on- und offline

Da sieht der Online-Publizist die Kirche als Institution in der Pflicht. «Es braucht Widerstand gegen die Macht der Datensammler und neue Evangelisten, also eine Art religiöse Influencer, die auf den Sozialen Plattformen Gemeinschaften bilden können», betonte Martig. Kirchliche Communities seien heute nicht mehr territorial organisiert, sondern nach Themen und Interessen. Und dabei sei die Kombination von Online- und Offline-Angeboten besonders wichtig. Ob die kirchlichen Akteure diesmal angemessen auf die digitale Entwicklung reagieren können, wird sich zeigen.

Eine Zusammenfassung der Tagung mit Online-Inputs finden Sie hier bei refbejuso.ch als PDF.

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