«Was denken Sie über eine Face-to-screen-Kirche?», fragte die Langnauer Pfarrerin Manuela Grossmann ihre Gemeindemitglieder. Damit schloss sie einen Artikel auf den Gemeindeseiten der Februarausgabe von «reformiert.» ab. Noch unabhängig vom Corona-Virus erörterte die 29-Jährige in ihrem Text die Vor- und Nachteile eines Kirchenlebens via Bildschirm – einer «Face-to-screen-Kirche», die intensiv die elektronischen Kanäle der «Sozialen Medien» wie etwa Facebook oder Instagram nutzt.
Sanfte Annäherung an die digitale Kirche
Die Langnauer Reformierten haben eine neue Facebookseite. Doch die Praxis zeigt: Kirchenleben online erblüht nicht ohne Aufwand.
«Face-to-screen-Kirche»: Die Pro- und Contras von Manuela Grossmann
Pro
Soziale Medien …
- … sind an keinen Ort und an keine Zeit gebunden. Menschen sind heute mobil und viel beschäftigt. Eine digitale Kirche nimmt die Lebensumstände des Homo Digitalis ernst.
- … sind Plattformen für (fast) kostenlose Werbung und Berichterstattung. Printmedien verlieren zunehmend an Leserschaft.
- … können das Image der Kirche in der Gesellschaft verbessern. Wir tun viele gute Dinge und kaum jemand weiss davon.
- … sind Treffpunkte für Meinungsaustausch und Vernetzung. Mitreden ist ein ur-reformatorisches Gedankengut.
- … sprechen Menschen aus jeglichen Milieus und Generationen an. Die Kirche erreicht vor allem Menschen, die traditionsverbunden sind.
Contra
Soziale Medien …
- … sind zeitaufwändig. Das heisst für mich als Pfarrperson (noch) mehr Face-to-Screen Zeit (vor dem Bildschirm oder Handy) als Face-to-Face Zeit (Besuche und spontane Begegnungen). Laut der Mental-App bin ich täglich 1 Stunde 34 Minuten am Handy. 79-mal entriegle ich es.
- … verändern die Kommunikation. Menschen kommunizieren öfter digital miteinander als Face-to-Face. Digitaler Austausch ist oft ungehemmter, kritischer und manchmal gewaltsamer als von Angesicht zu Angesicht.
- … sind gefährlich. Es geschehen Unfälle im Strassenverkehr, weil Autofahrer und Fussgänger aufs Handy schauen statt auf die Strasse. In der chinesischen Stadt Chongqing gibt es deshalb einen eigenen Gehweg für Menschen, die ihr Handy beim Laufen benutzen.
- … unterbrechen uns ständig und lenken uns ab. Das beeinflusst die Qualität unserer Beziehungen und unserer Arbeit. Ich fühle mich nicht wertgeschätzt, wenn mein Gegenüber ständig aufs Handy schaut.
- … liefern mehr Informationen, als wir verarbeiten können. Das ist eine Überforderung. Ich will nicht wissen, wie viele Kilos eine fremde Person abgenommen hat und ein neues Armband, für das ein Baum gepflanzt wurde, brauche ich auch nicht.
- … fördern die Qualität der Beiträge nicht. Auch blöde Videos, bearbeitete Selfies und Fake News erhalten viele Likes und Kommentare.
- … machen abhängig. Durchschnittlich schauen Menschen alle 18 Minuten auf ihr Handy. Das hat eine Studie aus Deutschland von Alexander Markowetz aus dem Jahr 2014 mit Hilfe der Menthal-App herausgefunden. «Eine solch exzessive Nutzung unserer Smartphones ist nicht normal», schreibt er in seinem Buch «Digitaler Burnout. Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist». Im 2020 sähen die Zahlen wahrscheinlich nochmals erschreckender aus.
«Social Media» sei ein grosses Thema in den Kirchgemeinden, sagt Manuela Grossmann auf Anfrage. Viele empfänden einen gewissen Zugzwang, aktiv zu werden – auch weil so die 20- bis 40-Jährigen besser erreicht werden könnten, die gehäuft aus der Kirche austreten. Da die Pfarrerin selbst häufig die elektronischen Kanäle nutzt, startete sie in der Zeitung ihre Umfrage.
«Ich habe Für- und Widerspruch erhalten», fasst Grossmann zusammen. Ältere Menschen hätten ihr Briefe geschrieben. «Ich solle mir lieber Zeit nehmen für Besuche und Gespräche, hiess es da häufig.» Hingegen äusserten sich vorab Leute aus dem nahen Kirchenumfeld eher zustimmend, auch in Langnau mit Social Media aktiv zu sein.
Ältere Facebook-Seite «eingeschlafen»
Die Kirchgemeinde habe nun eine Facebook-Seite neu erstellt, sagt die Pfarrerin – eine ältere sei bereits wegen fehlender Zeit «eingeschlafen». Ein Konzept gebe es nicht, es sei vor allem ein Ausprobieren. Die KUW-Koordinatorin unterhält die Seite. Es sei auch geplant, ein Instagram-Profil aufzuschalten.
Grossmann ist skeptisch, was die Erfolgsaussichten des Vorhabens angeht. «Für einen guten Facebook-Beitrag ist rasch eine Stunde Aufwand nötig», sagt sie aus Erfahrung. Einfach mit einem Foto eines Anlasses sei es nicht getan. «Es braucht ein Bewusstsein für Social Media. Und ich glaube, das ist noch nicht da.»
Der Artikel von Manuela Grossmann als PDF
- reformiert. Langnau i.E. Februar 2020
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