Hier lächelt eine Frau auf dem Weg zur Arbeit fröhlich in den Spiegel und schiesst ein Selfie mit ihrem neuen Sommerkleid.
Da fotografiert ein Mann seine teure Barista-Maschine bei der Zubereitung und erwähnt, dass morgens nichts läuft ohne richtig guten Kaffee.
Dort posiert ein verschwitzter Student mit breiten Schultern in der Umkleide und freut sich, dass die Fitnesscenter wieder geöffnet haben.
Und dann wäre da noch die Mutter, die das Chaos auf und unter dem Tisch festhält und sich vorstellt, wie es wäre, wenn sich nun Bedienstete um Esszimmer und Küche kümmern würden...
Völlig normal
Das alles sind alltägliche Situationen und Gedanken, die wir bestens kennen, wenn wir ab und an neue Kleidungsstücke kaufen, Kaffee mögen, Sport treiben oder eine Familie haben. Nichts Weltbewegendes. Völlig normal. Und dass es Menschen gibt, die genau solche banalen Ereignisse in Sozialen Medien mit anderen teilen gehört heute einfach dazu. So what?
Theologe in der Umkleide? Wo bleibt da die Demut?
Wie wirkt es nun aber, wenn die Frau im neuen Kleid eine Pfarrerin, der Kaffeeliebhaber ein Pfarrer, der Student in der Umkleide angehender Theologe und die Mutter mit dem Chaos in der Wohnung Sozialdiakonin ist und sie alle ihre Erlebnisse und Gedanken auf Social Media posten, weil sie Teil der digitalen Kirche sind? Tja, dann sieht es für einige schnell etwas anders aus.
Gerne ertönen daraufhin tiefgründige Fragen: Wirkt das nicht total selbstverliebt, egozentrisch und vor allem oberflächlich? Wo bleibt denn da die Demut, die Zurückhaltung, die Selbstbeherrschung und die Liebe zur Nüchternheit, für die Vertreterinnen und Vertreter des christlichen Glaubens einstehen sollten – egal ob sie haupt-, neben- oder ehrenamtlich für die Kirche tätig sind?
Auch Kirchenmenschen sind normale Menschen
Wie ich finde, sagen solche Einwände mehr über die Fragenden und ihre Erwartungen bzw. Vorurteile aus als über die «Kirchenmenschen», die eben nur ganz normale Menschen sind und das gegen aussen auch zeigen. Schon von Beginn an zu moralisieren und jegliches Engagement in Sozialen Medien als Selbstdarstellung anzuprangern, kann nicht sinnvoll sein. Und doch empfiehlt es sich, mit wachem Geist und kritischem Blick kirchliche «Gefilde» im digitalen Raum zu erkunden. Immerhin ist das Ringen um den Glauben und das Hinterfragen desselben zutiefst reformatorisch...
Nachfolgend einige interessante Instagram-Posts von Kirchenmenschen – Links anklicken lohnt sich!
Post «Selbstdarstellung» von Pfarrerin Ina Jäckel (@dingens.von.kirchen)
Post «SELBSTDARSTELLUNG?!» von Pfarrerin Lisa Maria Tumma (@himmel.lacht)
Post «Stop gossiping» von Pfarrerin Julia Schnizlein (@juliandthechurch)
Post «Instagram ist nur Selbstinszenierung» von Vikarin Maike Schöfer (@ja.und.amen)
Soziale Medien und ihr «Groove»
Während bei Twitter nach wie vor kurze und prägnante Textnachrichten im Zentrum stehen, funktioniert Instagram über Bilder, die Geschichten erzählen. Das hat zur Folge, dass wohl Instagram von vornherein mit mehr Kritik zu kämpfen hat. Denn hier wird chic posiert, retuschiert und gefiltert.
Auch im Bereich der digitalen Kirche zeigen sich teilweise farblich abgestimmte und einheitliche Feeds, die Wiedererkennungswert besitzen. Wenn dann auch noch tiefgründige, spannende, nachdenkliche und lustige Texte hinzukommen, ist es eine doppelte Freude.
Solche erfolgreichen Accounts haben dann häufig auch viele Followerinnen und Follower und Likes, was vielleicht hie und da wiederum etwas Zähneknirschen auslöst, weil Begriffe wie «Erfolg», «Abonnent*innen» und «Reichweite» eher mit Unternehmen, nicht aber unbedingt mit Kirche und Glaube in Verbindung gebracht werden.
Perfekt gestylte Kirchenmenschen
Und ja, es gibt auch Accounts mit Fotos von stets perfekt gestylten und ausgeleuchteten «Kirchenmenschen», die wirken, als wäre ein Profifotograf am Werk gewesen. Was die heutige Technik eben alles möglich macht... Ich gebe zu, dass diese Accounts nicht unbedingt zu meinen Favoriten gehören. Etwas Alltagschaos darf für mich gerne dabei sein. Aber das ist absolute Geschmackssache und so völlig in Ordnung.
Immerhin gefällt bestimmt jemand anderem genau das. Sympathie spielt eben nicht nur im analogen Leben eine wichtige Rolle. So sprechen mich persönlich Accounts von Pfarrerinnen an, die nicht nur von ihrer Arbeit erzählen, sondern auch davon, wie sie Familie und Beruf unter einen Hut bringen und nebenbei auch noch mit veralteten Rollenbildern zu kämpfen haben. Und warum? Natürlich, weil ich mich darin in gewisser Weise wiedererkenne und Gedanken und Gefühle nachempfinden kann.
Die grosse Bandbreite macht Freude
Die grosse Bandbreite an Persönlichkeiten, Ansichten und Themen macht die digitale Kirche für mich aus. Einen solch regen Austausch mit Gleichgesinnten- und auch Andersdenkenden möchte ich nicht mehr missen. Es ist eine grosse Bereicherung und nicht selten auch eine Horizonterweiterung.
Und da gehört es eben dazu, dass man sich mit manchen super versteht und mit anderen überhaupt nicht. Wie im echten Leben auch. Wenn ich eine Person im Reallife kennenlerne, die mir auf Anhieb eher unsympathisch ist, verabrede ich mich mit ihr nicht als erstes zum gemeinsamen Grillieren. Manchmal braucht es Zeit, sich besser kennenzulernen, dann passt es plötzlich doch und man freundet sich an; oder dann eben nicht und man zieht weiter.
Genau so funktioniert es auch in den Sozialen Medien. Mit einem kleinen Unterschied: Manche Menschen müssen vor dem Weiterziehen noch unbedingt ihren Unmut loswerden, indem sie belehren, beleidigen und verletzen. Auch das ist leider eine Gesetzmässigkeit von Instagram und Co. Meist hilft dabei nur das Zulegen einer dicken Haut oder eine bewusste Auszeit von Social Media. Wobei Letzteres aus Sicht der digitalen Kirche sehr bedauerlich, aber dennoch verständlich ist.
Post «Bye Bye» von Vikarin Maike Schöfer (@ja.und.amen)
Christliche Sinnfluencer*innen und Werbung
Es dürfte allgemein bekannt sein, dass sich mit YouTube und Instagram gutes Geld verdienen lässt. Wer viele Follower*innen hat, wird gerne von Firmen für Werbepartnerschaften angefragt, was sich für beide Seiten finanziell lohnt – so wird man also zur Influencerin. Je nachdem in welchem Themenfeld sich der betreffende Account bewegt, werden Beautyprodukte, Küchenmaschinen, Kleider oder Babyartikel vorgestellt. Meist in Verbindung mit Rabattcodes, welche die Follower in den Onlineshops einlösen können.
Wie sieht es nun in der digitalen Kirche aus? Hier sucht man definitiv vergebens nach Rabattcodes. Zumindest in meiner «Kirchen-Bubble». Vielleicht gibt es tatsächlich auch Leute, die auf Instagram für ihren Glauben einstehen und gleichzeitig Werbung für (christliche?) Produkte machen. Aber damit kenne ich mich tatsächlich zu wenig aus.
Ausserdem schätze ich diejenigen «Kirchenmenschen», die bewusst darauf hinweisen, dass ihr Kanal werbefrei ist. Aber das hat mit meinem Beruf als Pfarrerin zu tun. Nicht umsonst haben wir uns im Rechtskurs während des Vikariats mit dem Thema beschäftigt, welche Geschenke wir im Rahmen unseres Amtes annehmen bzw. eben gerade nicht annehmen dürfen. In der gleichen Lektion wurde auch über Nebenerwerbstätigkeiten ohne pfarramtlichen Bezug gesprochen, die ebenfalls nicht ohne weiteres angetreten werden sollten.
In der digitalen Kirche geht es klar um (Glaubens-)Inhalte oder eben um den (Lebens-)Sinn, weshalb gerne der Begriff «christliche Sinnfluecerinnen» verwendet wird.
BasisBibel-Influencer*innen
Anfang 2021 ging eine regelrechte Werbeoffensive durch die digitale Kirche. Endlich wurde die lang erwartete Gesamtausgabe der Basis-Bibel herausgegeben. Die Bibelgesellschaft startete eine Werbekampagne im grossen Stil. Dazu gehörten nicht nur ein ansprechender Werbespot, sondern auch die Suche nach Basis-Bibel-Influencer und mehrere Verlosungen.