Recherche 29. Dezember 2017, von Felix Reich

Was von der Reformation übrig blieb

Experiment

Im «Orientierungslauf» denken Jugendliche über Glauben und Re­for­­ma­tion nach. Sie tun dies mit dem wichtigsten Instrument des Journalismus: der Frage.

Sie sind konfirmiert oder konfes­sionslos, reformiert oder katholisch. Sie sind zwischen sechzehn und neunzehn Jahre alt. Der Glaube ist ihnen wichtig, egal oder fremd. Von der Kirche und der Reformation haben sie alle wenig Ahnung.

Neugier und Unverständnis. Für Anaïs Rufer zum Beispiel wird es immer ein bisschen dunkel, sobald sie das Wort Reforma­tion hört. Im Religionsunterricht sah sie einmal einen Film über Martin Luther, sie hat ihn als «sehr düster» in Erinnerung. Auch jetzt, da sie sich mit dem Reformationsjubiläum auseinanderzusetzen beginnt,  wird sie die düsteren Bilder nicht los. «Aber ich bin gespannt.»

Neugier ist die wichtigste Eigenschaft der Reformationsbeobachte­rinnen. Sie hat die vier jungen Frauen und den jungen Mann im Jungen Literaturlabor (Jull) an der Bärengasse in Zürich zusammengeführt. Selma Matter, Anaïs Rufer, Mara Rich­ter, Nicola Bryner und Deborah Mäder sitzen an einem Abend im späten November im ersten Stock des denkmalgeschützten Hauses im Zürcher Bankenviertel und tragen zusammen, was sie bisher über die reformierte Kirche gelernt haben. Anaïs Rufer weiss nun, dass der Pfarrer von Oerlikon selten zu Hause zu Mittag isst. «Aber halt auch nicht einfach so im Mac.»

Putzen und klatschen. Es sind einfache Fragen, welche die Jugendlichen stellen: Wer putzt die Kirche? Warum wird in der Kirche nicht geklatscht? Natürlich haben sie auch grosse Fragen an die Kirche, die sie aus Distanz, oft aus einem Unverständnis heraus be­trach­­ten. Im Gespräch mit Schreibcoach Gina Bucher zeigt sich aber, dass sich konkrete Fragen besser eignen für den «Orientierungslauf».

Die Serie erscheint in den nächsten 23 Ausgaben von «reformiert.» jeweils auf der letzten Seite. «Kommentieren, aber nicht verurteilen», lautet der Auftrag von Gina Bucher. Die 39-Jährige ist freie Autorin und pendelt zwischen Zürich und Berlin. Für das nächste Treffen hat sie die Jugendlichen ins Grossmünster bestellt. «In die Höhle des Löwen.»

Geschichten weiter spinnen. Die Zusammenarbeit von «reformiert.» und Jull kam im Kontext des Kulturprogramms «ZH-Reformation» zustande, das Kanton und Stadt Zürich sowie die reformierte Kirche zum Reformationsjubiläum finanzieren. Das Jull kon­frontiert im Projekt «Reformation (re)visited» Jugendliche mit der Reformation. Schriftstellerinnen und Schriftsteller schreiben Reformationsnovellen, in denen sie von historischen Ereignissen ausgehen. Schulklassen spinnen die Geschichten weiter. Mittelschulklassen wiederum treten in die Fussstapfen der Bibelübersetzer und verfassen Nachdichtungen zu biblischen Texten.

Die in «reformiert.» publizierte Serie verfolgt das gleiche Ziel: nicht beim Unverständnis stehen bleiben, sondern miteinander ins Gespräch kommen – egal, wie gross die zeitliche oder weltanschauliche Distanz zur Reformation oder zur Kirche auch sein mag.

Schreiblabor für Schulklassen

Das Jull geht auf das Projekt Schulhaus­roman zurück, das der Journalist und Schriftsteller Richard Reich und die Kulturwissenschaftlerin und Lektorin Gerda Wurzenberger entwickelt haben. Inzwischen führt das
Jull gemeinsam mit Sekundar­schulen, Gymnasien, Primarschulen und Be­rufsschulen Schreibwerkstätten durch oder produziert Hörspiele. Angeleitet werden die jungen Schreiberinnen und Schreiber von professionellen Auto­rinnen und Autoren. Ende November sicherte der Zürcher Gemeinderat die Existenz des Jull bis im Sommer 2021, indem er Jahresbeiträge von rund 425 000 Franken bewilligte.

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