Die Diskussion läuft heiss. Im Vorfeld der Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative am 29. November gibt es gerade in Kirchenkreisen einen engagierten Austausch über Sinn und Unsinn und über die Frage, wie stark sich kirchliche Exponenten politisch positionieren sollen.
In zwei unabhängig voneinander und praktisch gleichzeitig geführten Interviews haben wir Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) und Dick Marty (FDP), Co-Präsident des Initiativkomitees befragt.
Die Stellungnahmen von Dick Marty finden Sie hier.
Kann man ernsthaft gegen das Anliegen der Initiative sein, dass Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie Menschenrechte und Umweltstandards nicht einhalten?
Karin Keller-Sutter: Es geht am 29. November nicht darum, ob man für Menschenrechte oder gegen Menschenrechte ist, für die Umwelt oder gegen die Umwelt. Wir entscheiden nicht darüber, ob man sie schützen soll oder nicht, sondern lediglich darüber, wie man sie schützen soll. Auch der Bundesrat sieht Handlungsbedarf: Menschenrechte und die Umwelt müssen geschützt werden, und Unternehmen müssen stärker in die Pflicht genommen werden. Der Gegenvorschlag, der bei der Ablehnung der Initiative in Kraft tritt, verfolgt dieselben Ziele wie die Initiative, nur will er diese mit anderen Mitteln erreichen.
Die Initiative geht dem Bundesrat zu weit?
Wenn die Initiative angenommen würde, wäre die Schweiz das einzige Land weltweit, deren Unternehmen nicht nur für ihre eigenes Fehlverhalten haften, sondern auch für Schäden, die durch ihre Tochterfirmen oder wirtschaftlich abhängigen Zulieferer entstanden sind. Die neue Haftungsregel beträfe potenziell die gesamte Wirtschaft und wäre weltweit einzigartig. In Frankreich etwa sind von einer ähnlichen Regelung nur grosse Firmen mit 5000 Mitarbeitern in Frankreich und 10'000 weltweit betroffen. Diese neue Haftungsregelung wäre weltweit einzigartig.
Dazu kommt, dass diese Haftung nach Schweizer Recht, durch Schweizer Gerichte, durch Schweizer Richter abgewickelt wird. Im Ethikkomitee gegen die KVI sagte jemand treffend: Wir waren doch immer gegen fremde Richter, jetzt wollen wir selber die fremden Richter sein? Tatsächlich hat das etwas Anmassendes. Die Initiative ist gut gemeint aber nicht gut gemacht. Sie geht zu weit, darum unterstützt der Bundesrat den Gegenvorschlag des Parlaments.
Was spricht denn dagegen, dass die Schweiz als reiches Land höhere Standards setzt als andere Länder? Wir könnten uns diese grössere Sorgfalt gegenüber Menschen und der Natur leisten.
Der Bundesrat muss eine Gesamtbeurteilung machen für die gesamte Schweizer Volkswirtschaft. Auch der indirekte Gegenvorschlag nimmt die Unternehmen deutlich mehr in die Pflicht als bisher. Der Gegenvorschlag kennt Berichterstattungs- und Sorgfaltspflichten bei der Kinderarbeit und bei Konfliktmineralien wie Gold, Wolfram, oder Zinn. Gerade bei der Kinderarbeit ist der Gegenvorschlag gleich streng wie die Initiative. Die Kinder sind die Schwächsten, sie muss man schützen, das war mir ein persönliches Anliegen. Da müssen Firmen auch mit dem Gegenvorschlag Sorgfalt walten lassen.
Die Initiantinnen betonen, die KMU wären von den neuen Regelungen nicht betroffen. Stimmt das?
Diese Einschätzung teile ich nicht. Es kommt nicht auf die Grösse des Unternehmens an, sondern auf das Risiko, welches ein Unternehmen hat. Ein Beispiel: ein Schweizer KMU, das aus unterschiedlichen Ländern Baumwolle bezieht, etwa aus den USA oder Australien, hat auch Lieferanten in afrikanischen Ländern. Würde die Initiative angenommen, wäre dieser Baumwollhändler verpflichtet, die Lieferketten genau zu prüfen. In den USA und Australien dürfte er geringere Risiken haben als in Afrika.
Die paradoxe Konsequenz könnte sein, dass sich solche KMU aus Risikoländern zurückziehen, weil mit der Annahme der KVI das Risiko zu gross wird. Beim Rohstoffabbau in Afrika zum Beispiel weiss man, dass chinesische Firmen sehr präsent sind. Da muss man sich keine Illusionen machen: Die Standards und die Beobachtung sind dort ganz anders als bei einer Schweizer Firma.