Der Streit um das Wohl der Regenbogenkinder

Politik

Für Renato Pfeffer ist die Ehe für alle ein wichtiges gesellschaftliches Signal. Maria Rita Marty hält sie für ein verfassungswidriges Bekenntnis zur vaterlosen Gesellschaft.

Was ist eine gute Familie?

Maria Rita Marty: Eine gute Familie ist ein Ideal, das schwierig zu erreichen ist. Sie ist eine Lebensgemeinschaft, in der man sich unterstützt und auf die anderen eingeht. Das heisst auch, dass die eigenen Bedürfnisse nicht an erster Stelle stehen.

Renato Pfeffer: Mir gefällt der bibli­sche Begriff «Oikos». Er umfasst alle Menschen, die im selben Haus wohnen. Entscheidend für eine Familie ist, dass man nicht allein ist und sich gegenseitig unterstützt. Unabhängig davon, ob die Leute miteinander verwandt sind oder in einer Wohngemeinschaft leben.

Heute gibt es die eingetragene Part­nerschaft für homosexuelle Paa­re. Warum reicht sie nicht?

Pfeffer: Sie hat gegenüber der Ehe viele Nachteile. Ich denke an die erleichterte Einbürgerung oder die Güterstandsregelung. Zudem müssen alle, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben, ihre sexuelle Orientierung offenlegen, sobald sie ihren Zivilstand angeben. Wenn sie sich in ein Personenregister eintragen, sich auf eine Stelle bewerben oder in ein Land einreisen, kann das zu Problemen führen.

Ungleichheit beseitigen

Gleichgeschlechtliche Paare können eine eingetragene Partnerschaft eingehen, die vereinfachte Einbür­gerung oder gemeinsame Adoption eines Kindes ist aber nicht möglich. Um die Ungleicheit zu beseitigen, wollten Bundesrat und Parlament die Ehe für homosexuelle Paare öffnen. Weil das Referendum ergriffen wurde, entscheidet am 26. September das Volk. Die Evangelisch-reformier­te Kirche Schweiz (EKS) sagt Ja zur Ehe für alle, die freikirchlich geprägte Evan­gelische Allianz lehnt sie ab.

Sie werden somit diskriminiert?

Marty: Das Bundesgericht hat festgestellt, dass keine Diskriminierung vorliegt, weil der Staat Ungleiches ungleich behandeln soll. Homosexuelle werden nicht diskriminiert. Im Gegenteil: Sie steigen in eine höhere Liga auf, werden unantastbar.

Pfeffer: Sie wissen nicht, welchen An­feindungen Homosexuelle ausgesetzt sind. Ich habe selbst schon Jobs und Aufträge verloren. Die Sui­­zidrate unter Homosexuellen ist in der Schweiz etwa fünf Prozent höher als unter Heterosexuellen. In Län­dern mit Ehe für alle ging die Suizidrate zurück. Die gesellschaftliche Akzeptanz wird also messbar erhöht. Egal, wie die Gerichte die Diskriminierung beurteilen.

Marty: Um den Job fürchten muss eher, wer sich als Christ outet. Aber bei der Vorlage geht es nicht um die Akzeptanz von Schwulen und Lesben. Gegen eine Aufwertung der ein­getragenen Partnerschaft hätte ich nichts. Das Referendum habe ich erst aktiv unterstützt, als ich erfahren habe, dass Samenspende und Adoption mit dabei sind.

Warum?

Marty: Die Samenspende für lesbische Paare widerspricht der Verfassung. Artikel 119 erlaubt sie bei Unfruchtbarkeit oder der möglichen Ansteckung mit schwerer Krank­heit. Das ist bei lesbischen Frau­en nicht der Fall. Ihnen fehlt nur der Mann. Jedes Kind braucht Vater und Mutter, dies darf nicht per Gesetz verweigert werden.

Pfeffer: Ich habe das Gesetz zur Fortpflanzungsmedizin abgelehnt. Doch das Volk war dafür. Nun aber Frauen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung von dieser Möglichkeit auszuschliessen, ist falsch. Die Gesetze müssen für alle gelten.

Marty: Die Samenspende ist erlaubt, nachdem ein Paar vergeblich versucht hat, ein Kind zu zeugen. Dazu hat das Volk Ja gesagt. Es war nicht für eine vaterlose Gesellschaft.

Die Ehe ist in der Bibel die Ver­bin­dung von Mann und Frau. Etwas anderes kommt nicht vor.
Maria Rita Marty, Juristin und SVP-Kantonsrätin

Braucht ein Kind Vater und Mutter, um sich geborgen zu fühlen?

Pfeffer: Ein Kind braucht Eltern, von denen es geliebt wird. Pflegekinder werden oft bei homosexuellen Paaren untergebracht. Offenbar trauen ihnen Staat und Gesellschaft zu, ein gutes Umfeld zu bieten.

Marty: Der Vergleich hinkt. Pflegekinder haben Väter. Natürlich gibt es bereits jetzt Familien, in denen der Vater nicht präsent ist. Aber mit der Ehe für alle machen wir die vaterlose Familie zu einem Modell, das explizit erwünscht ist. Dass Par­lament und Bundesrat die Ehe für alle ohne Änderung der Verfassung durch­boxten, um eine Volksabstimmung zu vermeiden, ist undemokra­tisch und unethisch. Hier geht es nicht um homosexuelle Paare, sondern um das Kindswohl.

Pfeffer: Und gerade mit Blick auf das Kindswohl brauchen wir die Ehe für alle. Wenn ein lesbisches Paar ein Kind will, ist das schon heute möglich. Diese Kinder sind also da, und nur wegen der Gesetzesänderung werden es nicht mehr. Mit der Ehe für alle werden sie rechtlich abgesichert und Kindern von heterosexuellen Eltern gleichgestellt.

Marty: Natürlich gibt es bereits solche Kinder, es gibt auch schon Kinder aus Leihmutterschaften, die in der Schweiz verboten sind. Das Problem ist, dass viele zusätzliche lesbische Paare die Samenspende in Anspruch nehmen werden, sobald sie das Recht dazu haben. 

Ein Verbot von treuen homo­sexuellen Beziehungen ist mit der Bibel nicht vereinbar.
Renato Pfeffer, Jugendpfarrer und EVP-Gemeinderat

Ist ein Ja zur Samenspende für lesbische Paare auch ein implizites Ja zur Leihmutterschaft?

Pfeffer: Nein. Aber wir werden vielleicht irgendwann über die Leihmut­terschaft diskutieren. Im Gegensatz zur Samenspende ist die Leihmutterschaft aber für alle Paare unabhängig von der sexuellen Orientierung verboten. Um dieses Verbot auf­zuheben, bräuchte es eine Verfassungsänderung und damit zwingend eine Volksabstimmung. Ich wür­de dann Nein stimmen.

Marty: Ich bin gegen Leihmutterschaften. Es gibt bereits Bestrebungen, sie zu legalisieren. Die gleichen Kreise behaupten, die Samenspende bringe eine Ungleichheit zwischen lesbischen und schwulen Paaren. Die­­se Scheindiskriminierung wird dann mit denselben Argumenten bekämpft: Es werde gemacht, also legalisiere man besser die Methode. 

Vom Vatikan bis zur Evangelischen Allianz lehnen kirchliche Stimmen die Ehe für alle ab. Die Evangelisch-reformierte Kirche empfiehlt ein Ja. Haben die Reformierten ein exklusives Bibelverständnis?

Pfeffer: Ich bin theologisch konservativ. Ich glaube an das, was in der Bibel steht. Mit den wenigen Versen, die sich auf Homosexualität beziehen, habe ich mich intensiv auseinandergesetzt. Dort geht es nicht um die Liebe zwischen zwei mündigen Menschen. Kommt hinzu, dass Mose, Jesus und Paulus sagen, alle Gesetze seien in dem einen Gesetz erfüllt: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.» Ich kann alle biblischen Gebote damit erklären. Ein Verbot von treuen, monogamen, homose­xuel­len Beziehungen hingegen ganz bestimmt nicht.

Marty: Die Bibel definiert die Ehe als eine Verbindung zwischen Mann und Frau. Etwas anderes kommt darin gar nicht vor. Wenn ein Pfarrer ein homosexuelles Paar segnen will, dann soll er das tun können. Es dürfen aber keine Pfarrer dazu gezwun­gen werden, Paare zu trauen. Ich be­fürchte, dass unter dem Deckman­tel einer angeblichen Diskriminierung homosexueller Paare schon bald die Gewissensfreiheit der Pfarrer eingeschränkt wird. 

Maria Rita Marty, 59

2017 kam Maria Rita Marty für die EDU in den Zürcher Kantonsrat. Nach zwei Jahren wechselte sie zur SVP. Sie ist Mitglied der Kommission für Bildung und Kultur. Ursprünglich hat Marty Elektrotechnik studiert. 2009 schloss sie ihr Studium in Rechtswissenschaften ab, danach spezialisierte sie sich auf Medizinrecht.

Renato Pfeffer, 36

Seit August arbeitet Renato Pfeffer als Jugendpfarrer der reformierten Kirchgemeinden Horgen, Oberrieden und Thalwil. Für die EVP ist er Mitglied des Gemeinderats von Richterswil. Pfeffer studierte an der Hochschule STH Basel und der Universität Basel, das Masterstudium in Theologie absolvierte er an der Universität Zürich.

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