Soll die Ehe auch für homosexuelle Paare möglich werden? Dies fragt die Rechtskommission des Nationalrats in einer Vernehmlassung, an der sich auch die Kirchen beteiligen. Noch ringt der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) um eine Antwort. Erst an der Delegiertenversammlung im November soll es zu einer Einigung kommen.
Schon jetzt aber bezieht SEK-Präsident Gottfried Locher klar Stellung: Er befürworte die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare, lässt er sich jüngst in einem Interview zitieren. «Wenn sich der Staat zur gleichgeschlechtlichen Ehe hin öffnet, sehe ich keinen Grund, warum wir ihm nicht folgen sollten.» Zumal auch Homosexualität dem Schöpfungswillen Gottes entspreche.
Die Debatte entspannen
In der reformierten Tradition habe die Kirche nie abschliessend definiert, was Ehe sei, so der Theologe weiter. Ehe für alle entspreche einem aktuellen gesellschaftlichen Konsens, den die Kirche ernst nehmen solle. Und letztlich sei die Ehe kein Teil des christlichen Bekenntnisses, gehöre also nicht zu den Grundfragen des Glaubens. «Das ist der Schlüssel, um die Debatte zu entspannen.»
In Wahrheit sehen es längst nicht alle Gläubigen so entspannt, auch in den reformierten Landeskirchen nicht. Gottfried Locher ortet einen Stadt-Land-Graben: Im Zürcher und im Berner Oberland gebe es grossen Widerstand. Auch in der Romandie wehren sich viele Kirchenmitglieder gegen die neue Eheform. Deshalb ist Locher die demokratische Meinungsbildung in der Kirche wichtig. Sonst könnte es geschehen, «dass sich gewisse Kreise innerlich verabschieden». Und ihre Zukunft «eher nicht mehr» in der Landeskirche sähen.
Trägt zur Meinungsbildung bei
Locher stellt im Interview aber auch klar: Er wolle den Delegierten nicht vorgreifen. Er äussere derzeit nur seine persönliche Meinung. Michel Müller, Zürcher Kirchenratspräsident, begrüsst Lochers Stellungnahme sowohl formal wie auch inhaltlich. «Da die Abgeordnetenversammlung definitiv entscheiden kann, greift er nicht vor, sondern verhilft zur Meinungsbildung. Das ist seine Aufgabe, gerade auch im Sinne der künftigen EKS, der Evangelischen Kirche Schweiz», sagt Müller auf Anfrage von «reformiert.». Die EKS löst bald den SEK ab. Damit wird aus einer kirchlichen Dachorganisation eine schweizweite Kirche.
«Ob Gottfried Locher zwischen den Abgeordnetenversammlung des SEK seine persönliche Haltung in dieser Frage bekanntgeben soll oder nicht, liegt in seinem Ermessen», sagt der thurgauische Kirchenratspräsident Wilfried Bührer auf Anfrage von «reformiert.». Die thurgauische Landeskirche äussert sich vor dem Volksentscheid über Ziviltrauungen nicht zur Frage von Trauungen homosexueller Paare.
Diskussion anstossen
Persönlich begrüsst Andreas Zeller das Plädoyer des SEK-Präsidenten, da dieses eine Diskussion anstossen würde. «Bereits letzten Sommer an der Abgeordnetenversammlung des SEK in Winterthur habe ich gesagt, die Diskussion muss geführt werden», sagt der Synodalratspräsident der reformierten Berner Landeskirche.
Die Berner Landeskirche hat die Segnung von homosexuellen Paaren in den 90er-Jahren in die Kirchenordnung aufgenommen. «Wir müssen in Bern nun beraten, was eine mögliche Gesetzesänderung für die Ehe für alle für kirchliche Trauungen bedeutet», sagt Zeller auf Anfrage. 2021 sei deshalb eine Gesprächssynode zum Thema vorgesehen. «Es gibt keinen geschlossenen Widerstand in der Synode», stellt Zeller fest. Eine gewisse Zurückhaltung käme aus dem Jura. «Es wird aber auch weiterhin gelten, dass kein Pfarrer eine Handlung vollziehen muss, die er nicht machen will», sagt Zeller.
Da die Bündner Landeskirche die Ehe für alle noch nicht abschliessend diskutiert hat, nimmt ihr Kirchenratspräsident Andreas Thöny nicht offiziell zum Thema Stellung. Persönlich aber findet er: «Die Unterscheidung von Trauung und Segnung ist ein dürftiges Konstrukt und gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren diskriminierend. Wo finde ich da die goldene Regel der Nächstenliebe? Ausgrenzung steht einer Volkskirche nicht gut an. Wir sollten alle gleichwertig trauen, die aus Liebe eine Ehe eingehen und nach dem Standesamt noch um Gottes Segen bitten wollen.»