Was wird besser, wenn das Volk am 9. Februar Ja stimmt?
Michel Müller: Im Einzelfall verändert sich nicht viel, bereits die Kantonsverfassung verbietet Diskriminierung. Überschreiten öffentliche Äusserungen gegen Homo- und Bisexuelle die Grenze zum Hass, werden sie neu nicht mehr toleriert. Leute, die angefeindet werden, sind so besser geschützt, was die gesellschaftliche Atmosphäre verbessert.
Welche negativen Folgen hat die Erweiterung der Strafnorm?
Marc Jost: Es entsteht eine Rechtsunsicherheit. Nicht nur Hassaufrufe werden unter Strafe gestellt, mit dem Diskriminierungsverbot kann ultimative Gleichbehandlung eingefordert werden. Natürlich dürfen Homosexuelle nicht diskriminiert werden. Problematisch ist das Verbot der Ungleichbehandlung von hetero- und homosexuellen Paaren.
Was befürchten Sie konkret?
Jost: Dass homosexuelle Paare uneingeschränkten Zugang zur Fortpflanzungsmedizin und zur Kinderadoption erhalten müssen, weil sie sonst diskriminiert würden.
Das Parlament hat die Fortpflanzungsmedizin in der Vorlage zur Ehe für alle ausgeklammert. Sie warnen nun vor einem Präjudiz?
Jost: Genau. Ebenso kann in der reformierten Kirche ein Pfarrer, der ein homosexuelles Paar nicht trauen will, mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Oder christliche Partnervermittlungsorganisationen dürfen ihre Dienstleistung nicht mehr auf Heterosexuelle beschränken.
Müller: Gerät ein Pfarrer in Gewissensnot, kann er einen Ersatz organisieren. Solche Fragen mögen für Gutachten schreibende Juristen interessant sein, doch sie vernebeln, dass ausgerechnet eine christliche Organisation wie die Evangelische Allianz bedrohten Personengruppen den Schutz verweigern will. Eventuell bestehende Rechtsunsicherheiten werden gegen reale Bedrohungen ausgespielt.
Sind Homosexuelle in der Schweiz wirklich bedroht?
Müller: Noch, oder vielleicht künftig noch vermehrt, ist Schutz nötig. Das Volk kann klarstellen, dass es Hetze gegen Homo- und Bisexuelle ablehnt. Das ist ein wichtiges Zeichen.
Jost: Natürlich gilt es, Hass und Hetze zu bekämpfen. Einzelpersonen sind durch die bestehenden Gesetze aber hinreichend geschützt. Eine Lebensweise zu kritisieren, weil auch die Bibel sie ablehnt, ist noch lange keine Hetze.
Sie fürchten, dass mundtot gemacht wird, wer in der reformierten Kirche die Homosexualität kritisiert?
Jost: Den Trend gibt es bereits jetzt.
Müller: Sie projizieren Angstbilder. Kritik ist möglich, aber nicht mit undifferenzierten Hinweisen auf Bibelstellen, die beispielsweise zur Steinigung aufrufen. Das drückt Hass aus und nicht Kritik.
Jost: Ich kenne keine Pfarrperson einer Landeskirche oder einer Freikirche, welche solche Stellen nicht einordnet. Vielmehr habe ich den Eindruck, dass bestimmte sexualethische Meinungen verbannt werden sollen. Deshalb wäre es falsch, den Schutz nun auf eine Personengruppe mit einem bestimmten Lebensentwurf auszuweiten.
Auch das Anti-Rassismus-Gesetz schützt bestimmte Gruppen.
Jost: In der bisherigen Form befürworte ich das Gesetz ausdrücklich, weil es Menschen schützt, die aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit diskriminiert werden. Vor Gott und dem Gesetz sind alle gleich. Egal welcher Religion, Ethnie oder sexuellen Orientierung. Aber das Ausleben einer sexuellen Orientierung soll kritisiert werden dürfen, ohne dass eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren droht.
Müller: Kirchliche Kreise in Osteuropa oder Afrika hetzen vermehrt gegen Homosexuelle. Dass Worten Gewalt folgen kann, erleben wir auch in der Schweiz. Ich verstehe nicht, warum die Evangelische Allianz das Recht, auf Menschen und ihrer Lebensform herumzutrampeln, höher gewichtet als eine Begrenzung der Meinungsfreiheit.
Jost: Das ist eine Unterstellung. Ich sage einzig, dass der gewünschte Schutzeffekt, der in der Realität gering sein wird, die grossen Rechtsunsicherheiten nicht rechtfertigt.
Kommen Bibelstellen, welche die Homosexualität verurteilen, nach einem Ja auf den Index?
Müller: Die Bibel spricht nie von Homosexualität, sie kritisiert einzelne Handlungen. In der Bibel stehen ja auch andere problematische Hassbotschaften. Als Kirche haben wir nicht das Recht, sie einfach wiederzugeben. Es liegt vielmehr in unserer Verantwortung, uns davon zu distanzieren, wenn sie dem Geist des Evangeliums widersprechen.
Jost: Ein Rechtsgutachten zeigt, dass bereits das Zitieren unter Strafe stehen könnte. Zudem definieren tendenziell jene Personen, die sich diskriminiert fühlen, was Hass und Diskriminierung ist.
Müller: Manchmal fühlen sich Menschen allzu schnell als Opfer. Aber zuerst jenen zuzuhören, die sich diskriminiert fühlen, ist durchaus christlich. Ich vertraue unseren Gerichten, dass sie danach objektiv feststellen, ob tatsächlich eine Diskriminierung vorliegt. Der bestehende Antirassismus-Artikel wird sehr zurückhaltend angewendet, die Meinungsfreiheit behält grosses Gewicht. Das wird auch nach einer Erweiterung so bleiben.
Evangelische Allianz und reformierte Kirche gerieten schon in der Debatte zur Ehe für alle aneinander. Bleiben Verletzungen zurück?
Müller: Verletzungen entstehen da, wo der Gegenseite der Glauben abgesprochen wird. Dass es unterschiedliche Vorstellungen von Ehe gibt, kann ich nachvollziehen. Kein Verständnis habe ich dafür, dass man sich aus christlichen Motiven dagegen wehren kann, dass Menschen vor Hetze geschützt werden.
Jost: Die Zusammenarbeit wurde auf eine Probe gestellt. Ich fordere lediglich die Toleranz ein, Lebensformen aus biblischer Sicht unterschiedlich bewerten zu dürfen.