Recherche 10. Mai 2021, von Christian Kaiser

Liebe, Segen und Widerstand

Hochzeit

Der Vatikan lehnt den Segen für gleichgeschlechtliche Paare noch immer ab. Seelsorger Meinrad Furrer setzt sich darüber hinweg und segnet queere Paare am Platzspitz in Zürich.

Andrea und Mailin steigen als zweites Paar die Treppen hinauf unter das blaue Baldachindach des altehrwürdigen Platzspitzpavillons. Sie sind seit drei Jahren zusammen, vor einem Jahr haben sie geheiratet, mit einem Ritual, ganz privat im engeren Familienkreis. «Vor Gott dürfen wir ja nicht», sagt Andrea, Enttäuschung und Vorwurf schwingt in ihren Worten.

Meinrad Furrer, im weissen Messgewand, weist sie an Platz zu nehmen auf der eigens für diesen Zweck aufgestellten Jugendstil-Bank: Zwischen die verzierten Gusseisenträger sind Latten in den Regenbogenfarben montiert. Die beiden setzen sich, noch wirken sie etwas schüchtern im festlichen Ambiente, umringt von Fotografen und Journalisten, aber das wird sich ändern. 

Zürcher Katholiken laden ein

Das lesbische Paar ist einer Einladung von Katholisch Stadt Zürich gefolgt. «Meinrad Furrer schafft mit einem Segensritual einen Raum, in dem Gottes Segen für Liebende aller Art fliessen kann», hiess es darin. Die Aktion ist aber nicht nur als ein Akt der Liebe gedacht, sondern ganz klar auch als ein sichtbares Zeichen der Auflehnung.

Ende Februar hatte es die römische Glaubenskongregation zum x-ten Mal abgelehnt, endlich eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare zuzulassen. Und die Stimmen innerhalb der katholischen Kirche, die sich diese Ausgrenzung nicht mehr länger vorschreiben lassen wollen, nehmen zu. «Wir sagen: Schluss damit!» lassen die Stadtzürcher Katholiken verlauten – und sie sind damit in guter Gesellschaft. 

Die Liebe gewinnt

Ein Komitee engagierter Deutscher Theologinnen und Priester hat unter dem Hashtag #liebegewinnt die Segnungsaktionen am 10. Mai in ganz Deutschland ins Leben gerufen und online promotet. Die Paarsegnungen sind bewusst auf den 10. Mai gelegt worden. 

Im katholischen Kalender gilt er als Tag von Noah. Der biblische Stammvater aller Geschlechter steht für die Vielfalt der Schöpfung. Nach der Sintflut habe ihm Gott den Regenbogen als Zeichen seiner Zuwendung zu allen Menschen geschickt, heisst es dazu von den Initianten.

Gottes queerer Geist

Meinrad Furrers Regenbogensegnungsritual läuft in verschiedenen Phasen ab. In der Anrufung Gottes wird auch der Beistand «seines queeren Geistes» erfleht. Mailin und Andrea bekommen eine stärkende Botschaft aus dem 1. Johannesbrief mit auf den Weg über die Vollendung des Glaubens in der Liebe: wer in der Liebe bleibt ... und in der Liebe gibt es keine Angst. Dann schreiben die beiden auch ihre Wünsche für ihre Beziehung auf ein Kärtchen, auf die rosa Seite die Freuden, auf die weisse den Umgang mit Challenges. 

Der Pfarrer selbst spielt dazu Töne auf einer Handpan. Und je länger das Ritual dauert, umso berührter wirken die beiden Frauen. Es gibt sogar Tränen, feine Berührungen mit den Wangen, Mailin schlägt zweimal ein Kreuz. Am Ende wird sie sagen: «Ja, ich bin katholisch aufgewachsen und gläubig.» Wenn die Katholiken ihr Problem mit den queeren Menschen endlich gelöst hätten, würde sie auch wieder eintreten: «hundertprozentig!»

Gesalbt und gesegnet

Eine schöne Stelle ist die, wo sich die beiden gegenseitig die Hände salben – mit Olivenöl, das mit Thymian- und Zitronenduft angereichert ist. Thymian für den Mut, Zitrone für frische Kraft. Den Segen auch sinnlich erfahrbar zu machen, habe ja in der katholischen Kirche Tradition, sagt Furrer. Seit längerem führt er auch Paarsegnungsrituale zum Valentinstag durch. Und für ihn ist klar: Jede und jeder kann segnen, dafür braucht es keinen Pfarrer.

Sich selbst nennt Furrer gern «Durchlauferhitzer» und hier segnet sich das Paar eben erst gegenseitig, bevor Furrer den göttlichen Segen durch sich laufen lässt. Zu segnen ist für ihn eine wichtige kultische Handlung: «Segnen kommt ja von benedicere und das bedeutet gutheissen.» 

Wenn er segne, erbitte er die Kraft und Liebe Gottes für die Beziehung. «Und die ist grösser als all unsere Vorstellungen.» Und wirke darum auch für schwule, lesbische und queere Paare, ganz unabhängig davon, ob sie glaubten oder nicht. Und genau deshalb brauche es jetzt und hier diesen Akt des Widerstands. Furrer: «Es geht gerade ein Ruck quer durch Europa: Wir können den Entscheid der Glaubenskongregation nicht einfach kommentarlos stehen lassen.»

Die Seite mutwilligsegnen.de etwa ruft europaweit zu Aktionen auf und liefert Ideen und Material für Kampagnen und Aktionen. Der schwule Pfarrer sieht die Segnungen als ein heilsames Zeichen gegen die «strukturelle Sünde», die den Homosexuellen immer noch angetan werde. 

Ein befreites Lachen

Mailin und Andrea jedenfalls ist die segensreiche Wirkung anzusehen: befreites, freudiges Gelächter zum Schluss, in Siegerpose kommen sie die Treppe hinunter. Und jetzt? Nachhause gehen, Abendessen kochen, haushalten steht für die beiden auf dem Programm. Alltag halt.

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