Im Juni mochte sich der Rat des Kirchenbunds noch nicht festlegen. Er bat den Bund um die Verlängerung der Vernehmlassungsfrist, um die Abgeordnetenversammlung abzuwarten, bevor er zur Ehe für alle Stellung nahm.
Doch die Debatte in Winterthur vom 18. Juni war erst ein Anfang. Die Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedkirchen des Kirchenbunds einigten sich zwar auf einen Kernsatz: «Wir sind von Gott gewollt, so wie wir geschaffen sind. Unsere sexuelle Orientierung können wir uns nicht aussuchen. Wir nehmen sie als Ausdruck geschöpflicher Fülle wahr.» Ob damit auch ein Ja zur Zivilehe und zu Trauungen für gleichgeschlechtliche Paare verbunden sei, darüber gingen die Meinungen auseinander.
Der Steilpass des Präsidenten
Der Rat kam offensichtlich zum Schluss, dass der kleinste gemeinsame Nenner von Winterthur als Ja zur Ehe für alle interpretiert werden darf. Er nahm ihn nämlich zur Grundlage, die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu befürworten und den reformierten Landeskirchen die Trauung für alle zu empfehlen.
Der Entscheid fiel freilich nach einem Umweg. Die verspätet eingereichte Vernehmlassungsantwort des Kirchenbundes war noch eher eine Auflistung von Fragen als ein Positionsbezug. Doch inzwischen hat die Exekutive des Kirchenbunds den Steilpass aufgenommen, den ihr der Präsident Gottfried Locher mit einem Interview zugespielt hatte. Locher hatte vor zwei Wochen erklärt: «Wenn sich der Staat zur gleichgeschlechtlichen Ehe hin öffnet, sehe ich keinen Grund, warum wir ihm nicht folgen sollten.»
Trauung als Gewissensentscheid
An seiner Sitzung vom 29. August hat der Rat entschieden, der Abgeordnetenversammlung, die am 4. und 5. November im Wallis tagt, eine Vorlage mit Empfehlungen an die Kantonalkirchen vorzulegen. Darin werden kirchliche Trauungen für gleichgeschlechtliche Paare befürwortet. In den Reglementen der Mitlgliedkirchen soll aber «die Gewissensfreiheit der Pfarrerinnen und Pfarrer bezüglich der kirchlichen Trauung für gleichgeschlechtliche Paare gewahrt bleiben», schreibt der Kirchenbund in einer Mitteilung vom 29. August.
Der Rat des Kirchenbundes betont, dass das Eheverständnis keinen Bekenntnischarakter habe. Das christliche Bekenntnis lasse unterschiedliche Positionen und Ehebilder innerhalb der evangelisch-reformierten Kirche zu.
Aufgeschobene Kontroverse
Noch keine Stellung bezieht der Rat zu Fragen der Adoption und der Reproduktionsmedizin. Die Befürworterinnen und Befürworter in der Politik fordern, dass homosexuelle Paare auch in diesen Bereichen mit heterosexuellen Ehepaaren gleichgestellt werden.