Die Krux der Antirassismusstrafnorm

Diskriminierungsartikel

Für den Rechtsprofessor Martino Mona ist geplante Erweiterung richtig – aber das Gesetz sei grundsätzlich schwierig. Er zeigt das anhand konkreter Beispiele.

Im Strafgesetzbuch folgt sie gleich nach der «Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit» im Artikel 261: die sogenannte Antirassismusstrafnorm. «Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufruft», solle bestraft werden, heisst es darin – unter anderem.

Im Dezember 2018 hat das Schweizer Parlament beschlossen, das Gesetz zu erweitern: Es soll auch gelten, wenn Personen wegen ihrer «sexuellen Orientierung» diskriminiert werden. Die Abstimmung fiel mit Verhältnissen von ungefähr 2 zu 1 Stimmen in beiden Kammern deutlich aus. Fast alle Nein-Stimmen stammen aus der SVP-Fraktion.

Evangelische Allianz dagegen

Gegen die Erweiterung wurde dann das Referendum ergriffen. Im Mai 2019 bestätigte die Bundeskanzlei das Zustandekommen: Gut 67'000 der eingereichten 70'000 Unterschriften sind gültig. Auch ein evangelischer Verband engagierte sich für das Referendum: die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA). Sie vereint frei- und landeskirchliche Gemeinden. Die Meinungsäusserungsfreiheit könnte durch die Erweiterung unnötig eingeschränkt werden, teilt die SEA mit.

Dieses Argument bringt auch das Referendumskomitee vor. Es geht bei den Begriffen aber noch deutlich weiter: Mit dem Motto «Nein zu diesem Zensurgesetz!» kämpft es gegen die Ergänzung der Antirassismusstrafnorm. Es verschärfe die bereits wirkende Selbstzensur durch das bestehende Gesetz, schränke Grundrechte wie die Meinungsäusserungsfreiheit ein, die Gewerbefreiheit, arbeite mit «schwammigen Begriffen» und sei überflüssig und kontraproduktiv.

Was würde es konkret bedeuten?

Was ist dran an den Vorbehalten der SEA und des Komitees? Warum soll es nicht in gleicher Weise strafbar sein, gegen Schwule und Lesben zu hetzen wie gegen Schwarze? Martino Mona ist Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Uni Bern und forscht unter anderem zu Grundlagen des Strafrechts, Strafrechtsvergleichung und in der Kooperation «Religiöse Konflikte und Bewältigungsstrategien» («reformiert.» berichtete). Er beantwortet allgemeine und Fragen zu konkreten Beispielen zur Erweiterung des Artikels 261bis.

Ein Klick auf die Frage führt direkt zur Antwort.

1. Macht die Erweiterung aus dem Gesetzesabschnitt ein «Zensurgesetz»?

2. Bedeutet die Erweiterung einen Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit?

3. Bedeutet die Erweiterung einen Eingriff in die Glaubensfreiheit?

4. Würde ich bestraft werden, wenn ich am Stammtisch einen Schwulenwitz mache?

5. Würde ich bestraft werden, wenn ich auf Facebook öffentlich auf eine Statistik hinweise, die zeigt, dass Homosexuelle sich häufiger selbst umbringen als Heterosexuelle?

6. Würde ich bestraft werden, wenn ich das unter 5. Genannte machen würde und dazu schriebe: «Warum wir besser hetero bleiben ...»

7. Würde eine Pfarrperson bestraft werden, die ein homosexuelles Paar nicht segnen will?

8. Würde eine Hotelière bestraft werden, die wegen ihres Glaubens Doppelzimmer nur an heterosexuelle verheiratete Paare vermieten will?

9. Würde die Erweiterung einen Eingriff in die Gewerbefreiheit bedeuten?

10. Ist der Begriff «sexuelle Orientierung» aus rechtlicher Sicht «schwammig»?

11. Könnte ein Verein in seinen Statuten unbehelligt als Bedingung festhalten, dass Mitglieder einem Verständnis von Ehe und Familie zustimmen müssen, das ausschliesslich eine heterosexuelle Paarbeziehung gutheisst?

 

1. Macht die Erweiterung um die «sexuelle Orientierung» aus dem Artikel 261bis des Strafgesetzbuches ein «Zensurgesetz»?

Martino Mona: Nein. Die Erweiterung ist nicht das Problem; es ist eigentlich selbstverständlich, dass neu auch die sexuelle Orientierung von der Strafnorm erfasst wird. Schliesslich soll sie eine Wiederholung von Greueltaten gegen Minderheiten verhindern helfen, wie wir sie vor allem im 20. Jahrhundert leider sehr oft erleben mussten. Und zu diesen verfolgten Minderheiten gehörten und gehören bekanntlich auch Homosexuelle.

Das Problem liegt viel mehr im bereits bestehenden Gesetz: Es ist voller Ambivalenzen, unpräzise in den Begriffen und im Hinblick auf die vielzähligen Verhaltensweisen sehr inkohärent und unausgewogen. Man müsste eigentlich schon lange die gesamte Norm reformieren und mindestens zwei verschiedene Normen daraus machen mit unterschiedlichen Strafrahmen.

Dabei wären etwa Verhaltensweisen von der Strafbarkeit auszunehmen, die grundsätzlich von der Meinungsfreiheit geschützt sind und auch geschützt sein sollten. Gerade in dieser Hinsicht – ob und wann die Meinungsäusserungsfreiheit Vorrang hat – vermag die unpräzise Fassung der Norm nicht zu überzeugen. Deshalb wird es zuweilen auch als «Zensurgesetz» wahrgenommen.

Aber: Daran ändert die Erweiterung um «sexuelle Orientierung» nichts.

2. Bedeutet die Erweiterung einen Eingriff in die Meinungsäusserungsfreiheit?

Grundsätzlich nicht – auf jeden Fall dann nicht, wenn dadurch verboten werden soll, zu Hass oder Diskriminierung aufzurufen oder tatsächlich zu diskriminieren. Das ist nicht geschützt durch das Recht auf freie Meinungsäusserung.

Teilweise aber schon: Wenn beispielsweise verboten werden soll, die Meinung zu äussern, es habe im Dritten Reich keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Homosexuellen gegeben. Oder wenn verboten werden soll, sich unterstützend zu äussern gegenüber einer politischen oder religiösen Ideologie, die sich systematisch gegen Homosexuelle richtet.

Diese Ambivalenz liegt aber eben in der sehr unausgewogenen Natur der Strafnorm. Auf jeden Fall muss der Artikel auch mit der Erweiterung verfassungskonform ausgelegt werden. Der mögliche Grundrechtskonflikt mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung muss sehr ernst genommen werden.

Es ist aber zu betonen, dass die Gerichte in der bisherigen Praxis sehr gut mit dieser unsauberen Strafnorm umgehen.

3. Bedeutet die Erweiterung einen Eingriff in die Glaubensfreiheit?

Die Glaubens- und Gewissensfreiheit gibt jedem Menschen das Recht, seine Religion und seine weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und zu bekennen. Wird die Strafnorm nun interpretiert wie oben im Punkt 2 dargelegt, kann es einen Konflikt geben.

4. Würde ich bestraft werden, wenn ich am Stammtisch einen Schwulenwitz machte?

Nein, für die Strafbarkeit ist ein Handeln in der Öffentlichkeit vorausgesetzt. Das heisst, dass eine kritische Aussage an einen grösseren Kreis von Personen gerichtet sein muss, die nicht durch persönliche Beziehungen verbunden sind. Gespräche im Freundeskreis und am Stammtisch erfüllen diese Voraussetzung nicht – selbst dann nicht, wenn einige Dritte mithören könnten.

5. Würde ich bestraft werden, wenn ich auf Facebook öffentlich auf eine Statistik hinweise, die zeigt, dass Homosexuelle sich häufiger selbst umbringen als Heterosexuelle?

Nein.

6. Würde ich bestraft werden, wenn ich das unter 5. Genannte machen würde und dazu schriebe: «Warum wir besser hetero bleiben ...»

Nein. Das wäre einfach nur dumm, aber nicht strafbar.

7. Würde eine Pfarrperson bestraft werden, die ein homosexuelles Paar nicht segnen will?

Nein. In einem Gutachten im Auftrag der SEA legt Rechtsanwalt Olivier Bigler dar, dass Handlungen wie eine Segnung oder Trauung nicht als Leistungen für die Allgemeinheit gelten, sondern als individuelle Angebote. Diese können vorbehalten sein für Menschen, die ein bestimmtes Eheverständnis teilen.

8. Würde eine Hotelière bestraft werden, die wegen ihres Glaubens Doppelzimmer nur an heterosexuelle verheiratete Paare vermieten will?

Ja. Im Gegensatz zu einer Segnung handelt es sich dabei um eine öffentlich angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist und die man aufgrund einer standardisierten vertraglichen Vereinbarung erlangen kann. Eine solche Leistung dürfte man dann einer Person nicht mehr wegen ihrer sexuellen Orientierung verweigern. Das gälte auch beispielsweise für generelle Restaurantverbote.

9. Würde die Erweiterung einen Eingriff in die Gewerbefreiheit bedeuten?

Dieser Eingriff besteht ohnehin schon, wie das Beispiel bei Punkt 8 zeigt; diesbezüglich würde die Erweiterung also nichts ändern.

10. Ist der Begriff «sexuelle Orientierung» aus rechtlicher Sicht «schwammig»?

Nein.

11. Könnte ein Verein in den Statuten unbehelligt als Bedingung festhalten, dass Mitglieder einem Verständnis von Ehe und Familie zustimmen müssen, das ausschliesslich eine heterosexuelle Paarbeziehung gutheisst?

Ja. Einen solchen Vorbehalt zum Schutz von Vereinen hat die Schweiz grundsätzlich angebracht bei der Umsetzung der internationalen Norm, die eine Bekämpfung von Rassendiskriminierung auf nationaler Ebene verlangt.

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