Recherche 15. Mai 2015, von Sabine Schüpbach Ziegler

«Ehe für alle» fordert Kirche heraus

Homo-Ehe

Soll die Kirche Lesben und Schwule trauen, falls der Staat dies ermöglicht? «Ja», sagt Pfarrerin Angelika Steiner, «Nein», kontert Pfarrer Willi Honegger.

Angelika Steiner, Willi Honegger, falls der Staat die Ehe für Homosexuelle öffnet, soll die Kirche dies auch tun?

Angelika Steiner:Selbstverständlich. Ich sehe keinen Grund, warum nicht.

Willi Honegger: Die Kirche soll sich nicht unter Druck setzen lassen von der medialen Öffentlichkeit. Die Ehe ist einezu grosse Kategorie, als dass man im Eiltempo etwas Neues erfinden könnte. Es handelt sich um einen religiösen Begriff. Der Staat hat keine Deutungshoheit darüber. Die Kirche muss die Frage aufgrund der eigenen Quellen entscheiden.

 

Was würde Sie an der kirchlichen Homo-Ehe denn stören?

Honegger: Die Kirche soll sie nicht einführen und wird es in ihrer weltweiten Dimension auch nicht tun. Die Verbindung zwischen Frau und Mann ist das Erfolgsmodell der Menschheitsfamilie. Die Bibel stellt dies nirgends infrage.

 

Frau Steiner, wie argumentieren Sie biblisch?

Steiner: Ich bin geprägt von den Evangelien und glaube, dass wir Menschen zusammen unterwegs sein sollen, einander begleiten, annehmen und wertschätzen. Ich fände es unlogisch und unchristlich, gleichgeschlechtliche Paare – falls sie dereinst zivilrechtlich heiraten können – von der kirchlichen Trauung auszuschliessen. Ein Stück weit bin ich in diese Frage hineingewachsen. In meinem Umfeld gab und gibt es schwule und lesbische Paare. Ihre Fragen und Wünsche sind nicht anders als jene von heterosexuellen Paaren.

Honegger: Ich bestreite nicht, dass die Kirche Homosexuelle wertschätzen soll. Aber die Ehe ist nicht die einzige Form, um Wertschätzung auszudrücken! Die Schöpfungsgeschichte bezeugt: «Gott schuf Mann und Frau und segnete sie.» Das ist die Urform des Ehesegens.

Steiner: Die Schöpfungsgeschichte entstand vor zirka 2500 Jahren. Sie hat für mich Gültigkeit, ist aber auch eine Grundlage, um weiterzudenken. Falls der Staat entscheidet, dass Homose­xuelle im Eherecht gleichberechtigt sind, möchte ich als Pfarrerin diese Entwicklung mitgestalten.

 

Die Landeskirche hat

1999 festgehalten: «Platz und Stellenwert der Homosexualität unterscheiden sich in der reformierten Landeskirche grundsätzlich in keiner Weise von anderen Formen derSexualität. Homosexualität ist für die Landeskirche eine Spielart der Natur, die nicht als prinzipiell defizitär betrachtet werden darf.» Können Sie das unterschreiben?

Honegger: Es gibt keinen Grund, warum man homosexuellen Menschen nicht mit Achtung und Wertschätzung begegnen soll. Das steht jedem Menschen zu.

Steiner: Ich finde es problematisch, dass die Kirche damals noch den Begriff «defizitär» verwendete, auch wenn sie sich davon abgrenzte. Die sexuelle Orientierung sollte für sie keine Rolle spielen.

 

Es gibt Bibelstellen, die als Verbot oder Abwertung von Homosexualität interpretiert werden. Spielen die für Sie eine Rolle?

Steiner: Ich finde sie ärgerlich. Aber ich finde auch andere Stellen ärgerlich wie «die Frau schweige in der Gemeinde» im ersten Korintherbrief oder andere Textstellen, die Menschen ausgrenzen.

Honegger: Im alten Israel konnte man Homosexualität nicht tolerieren, weil sie den Fortgang der Sippe bedrohte. Das ist der Hintergrund des Verbots in 3. Mose 18, 22 und 20, 13. Man darf es nicht als heute gültiges Verbot interpretieren. Aber mir geht es um eine andere Frage: Was ist ein Ehesegen?

Was ist es für Sie?

Honegger: Der Ehesegen unterscheidet sich vom Segen Gottes, der jedem Menschen gilt. Die Bibel sagt uns, dass die Ehe die Beziehungsform ist, die unter Gottes Segen steht. In ihr ist es potenziell möglich, Leben weiterzugeben. So setzt sich das Schöpfungswerk fort.

 

Bedeutet das, dass eine homosexuelle Beziehung nicht unter Gottes Segen steht?

Honegger: Christlich verstanden ja. Oder gibt es ausser der Bibel noch andere Offenbarungsquellen, die uns sagen, was wir Menschen segnen dürfen? Segen ist ein vom Menschen ausgesprochenes Versprechen, das Gott einlösen muss.

Steiner: Ehe hat für mich nichts damit zu tun, ob man potenziell Kinder haben will. Die heiratswilligen Paare, die ich erlebe, haben den tiefen Wunsch zusammenzugehören und ihre Vertrautheit gesellschaftlich anerkannt leben zu dürfen. Ganz gleich, ob sie homo- oder heterosexuell sind.

Honegger: Mir scheint, dass Sie aus dem Segen Gottes eine menschliche Sympathiebekundung machen.

Steiner: Das stimmt nicht. Wer heiraten will, der wünscht sich, den Schutz und den Segen für die Beziehung auch von Gott her zu erfahren. Ich erlebe immer wieder, wie der Segen Gottes, sei es bei einer Trauung oder Taufe, Menschen zutiefst innen ergreifen kann. Warum sollte ich das den einen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verweigern, falls der Staat die Gesetze ändert? Das fände ich alles andere als christlich und wertschätzend.

 

Ist die Homo-Ehe wirklich ein Bedürfnis? Die heutigen Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare werden kaum genutzt.

Steiner: Es wird sicher kein Run entstehen. Trotzdem ist es ein wichtiges Zeichen. Wir sollten aber nicht vergessen, in welchen Dimensionen wir diskutieren. Die Zahl der Trauungen nimmt stetig ab.

 

Hat der Streit das Potenzial, die Reformierten in Liberale und Konservative zu spalten?

Honegger: Ich befürchte, dass es zum Lackmustest wird, ob man als Pfarrer noch etwas taugt. Ich würde an den Rand der Kirche gedrängt.

Steiner: Wegen dieser Frage spaltet sich die Kirche nicht. Die Menschen in meiner Gemeinde schätzen es nach meiner Wahrnehmung, dass Themen kontrovers diskutiert werden, unter denen sie früher gelitten haben.

Willi Honegger, 52

Willi Honegger ist Pfarrer in Bauma-Sternenberg im Tösstal. Er ist bereits seit 1996 Mitglied des Kirchenparlaments. Der Präsident der Evangelisch-KirchlichenFrak­tion ist Buchautor («Mit seinen Worten Grosses erbitten. Wie Jesus uns beten lehrt», 2014). Er ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder.

Angelika Steiner, 56

Angelika Steiner ist Pfarrerin im Stadtzürcher QuartierLeimbach. Seit 2003 politisiert sie als Mitglied der Religiös-Sozialen Fraktion im Kirchenparlament. Sie ist ledig und zog ihre beiden heute erwachsenen Kinder alleine gross. Theologie studierte sie auf dem zweiten Bildungsweg.

Politik will Homo-Ehe

Möglicherweise können in der Schweiz künftig auch homosexuelle Paare heiraten. So fordert es die Parlamentarische Initiative «Ehe für alle». Zudem soll es neu für alle Paare eine sogenannte «Ehe light» geben, das ist etwas Ähnliches wie die bisher nur für Schwule und Lesben vorgesehene eingetragene Partnerschaft. Dem Vorstoss stimmte die Rechtskommission des Nationalrats letzten Februar zu; frühstens im Herbst behandelt ihn die ständerätliche Schwesterkommission. Laut Umfragen befürwortet auch eine Mehrheit des Volks die Gleichstellung Homosexueller im Eherecht.

Dies hat in der reformierten Kirche eine Debatte ausgelöst, welchen Einfluss solche neuen rechtlichen Möglichkeiten auf die kirchliche Heiratspraxis hätten. Heute bietet die Zürcher Landeskirche Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare an, die mit ein bis drei Feiern pro Jahr allerdings kaum nachgefragt werden. Rein formal ist die Voraussetzung für eine kirchliche Trauung die zivilstandsamtliche Trauung. Ob die Kirche nachziehen soll, falls der Staat die Ehe für Homosexuelle öffnet, oder nicht – darüber sind die Reformierten unterschiedlicher Ansicht.

Die Zürcher Landeskirche hat sich 1999 vor der Einführung der Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare für alle Diskri­minierungen gegenüber Homosexuellen entschuldigt und betont, dass die sexuelle Ausrichtung in keinem kirchlichen Zusammenhang ein Kriterium darstellen dürfe. In einerVernehmlassung stimmten zwei Drittel der Befragten der Grundhaltung zu, dass Homosexualität und Heterosexualität gleichberechtigt sein sollen.

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