Dave Jäggi vom offenen Haus «Venue» in Diessenhofen TG ist enttäuscht. «Es ist schwierig, bei Chrischona zum Thema Homosexualität in progressiver Richtung weiterzudenken», sagt der Pastor.
Chrischona Schweiz hat die Zusammenarbeit mit jenem innovativen Projekt aufgelöst, das sie seit dem Start vor vier Jahren unterstützte. Dabei geht es nicht darum, was in Diessenhofen passiert. Der Freikirche missfällt, wie die Leitung denkt. «Unsere Überzeugungen zum Thema Homosexualität lassen sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen», begründet die Chrischona den Bruch in ihrem aktuellen Newsletter. Dave Jäggi leitet «Venue» mit seiner Frau Barbara und dem Ehepaar Damaris und Chris Forster, er ist ebenfalls Chrischona-Pastor. Das Haus bietet ein von der Gemeinde Diessenhofen subventioniertes Job-Coaching für Stellensuchende, einen Mittagstisch und Kreativateliers an.
DieroteLinieüberschritten
Das Thema Homosexualität sucht man im Programm vergeblich. Aber: Jäggi bloggt seit mehreren Jahren dazu. Wer seinen Blog liest, hat nicht den Eindruck, hier schreibe ein Provokateur. Vielmehr setzt sich ein in der freikirchlichen Theologie verwurzelter junger Mann mit einem für ihn wichtigen Thema auseinander. «Als Christ möchte ich Nächstenliebe leben – und die gilt homosexuellen Menschen genauso wie heterosexuellen», beschreibt er seine Grundhaltung. Und der Pastor geht noch einen Schritt weiter: «Ich würde einem schwulen oder lesbischen Paar den kirchlichen Segen nicht verwehren. Wer wäre ich, mir anzumassen, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung auszuschliessen?»
Damit hat er offensichtlich eine rote Linie überschritten. Als er seine Meinung in einem Gespräch mit Chrischona-Verantwortlichen äusserte, wurde die Zusammenarbeit aufgekündigt. Auf Anfrage erklärt Peter Gloor, Leiter von Chrischona Schweiz, eine gleichgeschlechtliche Ehe sei aus Sicht der Freikirche undenkbar. «Würden wir die Segnung homosexueller Paare praktizieren, würden wir damit die Homosexualität gutheissen.» In der Bibel gebe es aber«keine Grundlage, die für die Homosexualität spricht».
Jäggi sagt, er sei in den vergangenen Jahren schon mehrmals darauf hingewiesen worden, sich beim Thema zurückzuhalten. «Das widerstrebt uns als Venue-Team aber völlig, eine freie Meinungsäusserung muss doch möglich sein.»
Traurigundbefreit
Hintergrund des Streits ist ein Themenpapier zur Sexualität, das Chrischona Schweiz zurzeit erarbeitet. Das noch nicht veröffentlichte Dokument definiert unter anderem, dass homosexuelle Menschen keine Leitungsfunktion bei Chrischona Schweiz übernehmen können.
Wie es weitergeht mit «Venue», das auch zum Netzwerk «Fresh Expressions» für neue Kirchenformen gehört, an dem die Reformierten beteiligt sind, ist völlig offen. Noch bis Februar 2019 darf das Team das Haus, das der Chrischona gehört, gratis nutzen. Danach hofft es, die Räume dank Crowdfounding kaufen zu können. Oder «Venue» muss anderswo einen marktüblichen Mietpreis zahlen. Ausserdem wird monatlich ein namhafter Beitrag fehlen, den die Freikirche beigesteuert hat. Auch eine neue kirchliche Anbindung braucht «Venue» als Projekt von «Fresh Expressions».
Für Jäggi ist die Trennung von der Chrischona traurig und befreiend zugleich: «Nun können wir weiterdenken.» Persönlich bedauert Chrischona-Leiter Peter Gloor das Ende der Zusammenarbeit «ausserordentlich». Mit Projekten wie «Venue» könne die Freikirche Menschen erreichen, die sie sonst nicht erreiche. Aber beim Thema Homosexualität, so steht es im Chrischona-Newsletter, gibt es halt «keine Kompromisse».