«So dürfen wir uns nicht aus der Affäre ziehen»

Kirche

Die Antwort auf eine Motion ist nur der Anfang. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund steht vor einer intensiven Debatte über Familie, Ehe und Sexualität.

Der Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes musste viel Kritik einstecken, als er am 18. Juni in der Methodistischen Kirche in Winterthur seine Antwort auf die St. Galler Motion «Familie, Ehe, Partnerschaft, Sexualität aus evangelisch-reformierter Sicht» vorlegte. Und doch stellten sich die Abgeordneten am Ende einstimmig hinter einen Schlüsselsatz, den er in seinem Positionsbezug formuliert hatte.

Der falsche Fokus

Pfarrerin Barbara Damaschke kritisierte die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe, die für den Rat den Bericht ausgearbeitet hatte. Medizinisches Fachpersonal fehle, dafür herrsche ein Überangebot an Pfarrerinnen und Pfarrern. Zudem verenge die Antwort den Blick auf die Homosexualität und die auf der politischen Agenda stehende Ehe für alle. «Das ist überhaupt nicht im Sinn der Motion.» Themen wie Familienplanung, pränatale Tests oder Prostitution blieben unerwähnt, und wie ein Bericht zustande kommen könne, der sexuelle Gewalt und Missbrauch nicht einmal erwähne, sei ihr schleierhaft.

Noch deutlicher wurde Miriam Neubert aus Graubünden als Vertreterin der Frauenkonferenz. Indem Pfarrerinnen und Pfarrer aus Gewissensgründen gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen verweigern, «kommt die Diskriminierung durch die Hintertür». Der Rat gewichte die Bedenken einer freikirchlich geprägten Minderheit zu stark und scheue sich vor einer Positionierung. Das sei ärgerlich. «So dürfen wir uns nicht aus der Affäre ziehen.»

Schutz vor Diskriminierung

Der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller warnte davor, die Frage zum Dilemma zu stilisieren. «Die sexuelle Orientierung ist nicht verhandelbar, Überzeugungen hingegen können sich wandeln.» Dieser Asymmetrie gelte es gerecht zu werden, wenn sich die Kirche positioniere.

Dass die Reformierten sich vor dem Positionsbezug nicht drücken dürfen, steht für Müller ausser Frage. Bereits vor 20 Jahren habe sich der Zürcher Kirchenrat für die Diskriminierung homosexueller Menschen in der Vergangenheit entschuldigt. «Dahinter kann ich nicht zurück.» Homosexuelle Menschen bräuchten die Gewissheit, dass sie in der reformierten Kirche geschützt seien vor Diskriminierung. «Hier sind sie sicher, hier sind sie zu Hause.»

Differenzen aushalten

Der Zürcher Abgeordnete Willi Honegger hingegen plädierte dafür, «in Glaubensfragen» keine Mehrheitsentscheide zu fällen. «Eine Volkskirche muss unterschiedliche Haltungen aushalten. Er wandte sich gegen «Denk- und Sprechverbote» und lobte zugleich ausdrücklich den Ton der Debatte, den Barbara Damaschke mit ihrem Votum zu Beginn gesetzt habe.
Dass die Motion mit dem vorliegenden Bericht nicht abgeschrieben werden kann, war schnell klar. Zurückziehen mochte der Rat seinen Antrag deshalb nicht. Denn Michel Müller hatte beantragt, dass sich die Abgeordnetenversammlung hinter den ersten Satz in der Positionierung des Rates stellt:

«Wir sind von Gott gewollt, so wie wir geschaffen sind. Unsere sexuelle Orientierung können wir uns nicht aussuchen. Wir nehmen sie als Ausdruck geschöpflicher Fülle wahr.»

Dieser Satz sei eine «gute Setzung», sagte Ratspräsident Gottfried Locher und versprach, das Thema in «einem partizipativen Prozess» weiter zu bearbeiten.

Noch herrscht Einigkeit

Müllers Antrag wurde einstimmig bei nur einer Enthaltung angenommen. Der Antrag auf Abschreibung der Motion fiel ohne einzige Ja-Stimme bei einer Enthaltung durch. Der Rat muss nun spätestens in einem Jahr erneut mit einem Bericht und einem Antrag vor die Abgeordneten treten, die dann die Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz bilden werden.

Inwiefern die Debatte hilfreich war für den Rat, seine Antwort im Vernehmlassungsverfahren zur parlamentarischen Initiative für die Ehe für alle zu formulieren, ist fraglich. Der Kirchenbund hatte eine Verlängerung der Frist beantragt, um die Diskussion an der Abgeordnetenversammlung in seine Stellungnahme einfliessen lassen zu können.

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