Auf der alten Mauer, die unseren Obstgarten umgibt, sonnen gern Katzen, die fuchsrote unserer Nachbarin und wilde. Auch ein kleines Mädchen sitzt oft da, Bigna, sie ist die Tochter einer der Weberinnen. Sie ist vielleicht vier Jahre alt, und ich wundere mich jedes Mal, wie leicht sie die Mauer erklimmt. Im Sommer bat sie mich um Erdbeeren, im Herbst waren es Himbeeren oder Äpfel. Nein, sie bat nicht, sie sagtenur: «Gib mir Erdbeeren.» Und während ich mit ihr über Dinge redete, die mir gerade so einfielen, stopfte sie sich den Mund voll.
Nachdem Not, der Bauer des Guts unten am Bach, mich mit ihr gesehen hatte, sprach er mich bei nächster Gelegenheit an. Das überraschte mich,denn Not war als Schweiger bekannt. «Dieses Mädchen ist mir nicht geheuer», erklärte er mir, «die wird dem Dorf noch Probleme machen.» Als ich nachfragte, erzählte er, dass sie oft zu ihm in den Stall kam, während er melkte. «Ich auch», sagte sie jedes Mal, und obwohl er ihr mehrmals auseinandergesetzt hatte, dass sie zum Melken zu klein sei und er nicht riskieren wolle, dass sie von einem Huf getroffen werde, sagte sie es immer wieder. «Ich war schon bei Chatrina, ihrer Mutter, um ihr zu sagen, sie soll das Kind nicht so herumstreunen lassen», schloss er richtig echauffiert. «Aber die antwortete nur, dass sie nun einmal arbeiten muss und das Kind so lange schliesslich nicht anbinden kann.»
«Vielleicht meint Bigna gar nicht das Melken, wenn sie ‹ich auch› sagt», bemerkte ich. «Was denn sonst?», fragte Not. Darauf hatte ich auch keine Antwort, aber ich schlug vor, dass Not sie fragte, wann sie das nächste Mal zu ihm in den Stall kam.
Das hatte er getan, als wir einander zwei Tage später auf unserem kleinen Markt begegneten. «Stell dir vor»,berichtete er regelrecht empört,«dieses Gör behauptet, von mir geträumt zu haben. Im Traum soll ich behauptet haben, dass ich einsam bin. Ich und einsam – als hätte ich nicht meine Kühe!»
Not hatte nicht nur seine Kühe, er hatte auch Frau und Kinder. Aber mehr als an ihn dachte ich an Bigna. «Hast du das Chatrina erzählt?», fragte ich. «Ich meine, dass ihre Tochter sich einsam fühlt?» Doch Not sagte nur: «Was geht das mich an?» Also erzählte ich es Chatrina, die Weberei ist gleich um die Ecke. Siestutzte. «Dass Not einsam ist, glaube ich gern», sagte sie. «Aber warum Bigna? Sie hat doch mich.» Und Bigna lachte nur, als ich sie fragte, und schenkte mir drei Haselnüsse, die sie gesammelt hatte.