Kindermund 21. Februar 2017, von Tim Krohn

Zelle ohne Telefon oder Tauchen in klein

Kindermund

Ein Aquarium für Taucher. Oder ein Wartsaal – mit Aquarium, Öfelchen und Gummipalme? Bigna überlegt, was aus der Telefonzelle werden könnte.

Dass die Postfiliale unseres Dorfes Geschichte ist, macht uns immer noch traurig. Dafür konnten wir die stillgelegte Telefonzelle mieten. «Dann können wir jetzt gratis telefonieren», strahlte Bigna, als sie es hörte. «Leider nein, das Telefon ist abmontiert», erklärte ich. «Wozu ist sie dann noch gut?» «Für Kunst. Wir sind jetzt nämlich auch ein Kunstverein: Art Val Müstair. Kunst für die Gäste.» Bigna runzelte die Stirn. «Kunst, das sind Bilder, oder?» «Auch. Kunst ist alles, was die Menschen staunen lässt.» «Sieh mal», sagte Bigna und machte etwas Ähnliches wie einen Kopfstand, «staunst du?» «Na ja.» «Aber wenn du gestaunt hättest, wäre ich dann jetzt Künstlerin?» «Es geht mehr darum, dass man nach einem Kunstwerk die Welt ein bisschen anders sieht.» «Aber ich sehe die Welt sogar sehr anders, ich sehe sie auf dem Kopf!»

Ich schlug vor: «Lass uns lieber überlegen, was wir aus der Kabine jetzt machen.» «Ein Aquarium», sagte sie wie aus der Pistole geschossen. Ich lachte. «Das wäre schön, aber ich glaube nicht, dass die Fische lange leben. Die Temperaturschwankungen hier in den Bergen sind zu gross.» «Dann haben wir eben keine Fische, sondern Taucher», schlug sie vor, «die können sich warm anziehen.» «Das wäre wunderschön, nur kommen sie da nicht raus, ohne dass man die Tür aufmacht, und dann läuft jedes Mal das Wasser aus.» «Ja, das ist blöd», gab Bigna zu, «sie müssen ja vielleicht mal aufs Klo.»

Sie dachte nach. «Ich habs, wir machen einen Wartesaal. Damit die Leute nicht mehr frieren müssen, wenn sie auf den Bus warten. In die Post können sie ja nicht mehr.» «Den kleinsten Wartesaal der Welt», scherzte ich, denn wir haben im Dorf schon die kleinste Whiskybar, «mit einem Sessel, einer Gummipalme und zwei guten Büchern.» Bigna reckte den Finger: «Ja, und einem Öfelchen.» «Und einem Aquarium», scherzte ich. «Genau, jetzt ist ja geheizt.» «Das kostet aber Strom, und wenn wir alles schön machen wollen, kostet es auch Geld», stellte ich fest. «Och, es kann ein klitzekleines Öfelchen sein. Und Geld schicken uns die Leute ganz bestimmt, wenn du darüber in der Zeitung schreibst.»

Tim Krohn, 52

Der freie Schriftsteller wurde in Nordrhein-Westfalen geboren, wuchs ab seinem zweiten Lebensjahr in der Schweiz im Glarnerland auf und wohnte danach gut zwanzig Jahre lang in Zürich. Inzwischen lebt er mit Frau und Kindern in Santa Maria Val Müstair.

Für «reformiert.» schreibt Krohn seit Anfang 2017 schreibt Tim Krohn die Kolumne «Kindermund», anfangs ein Jahr lang im Wechsel mit Richard Reich (Schöpfungen).

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