Eine Giraffe und ich sassen kurz zu Tisch

Kindermund

Bigna setzt den Titel dieser Kolumne und findet, wegen ein paar falschen Fliegenschissen – also Kommas – müsse man wirklich keine schlechte Laune haben.

«Wer ist denn jetzt wieder gestorben?», fragte Bigna, als ich an die Tür kam. «Wieso?» «Weil du so ein Gesicht machst.» «Ich ärgere mich. Die Druckfahnen für mein neues Buch sind da, und die Frau, die Schreibfehler korri­gieren soll, hat mir überall falsche Kommas rein und die richtigen weggemacht. Jetzt muss ich sie alle neu setzen. Die Frau sagt, der Duden will es so.»

«Wer ist der Duden?» «Ein Buch, in dem steht, was richtiges Deutsch ist. Aber im Duden steht nicht, dass sie diese Kommas machen oder wegmachen soll. Im Duden steht: Weil zu viele Leute hier das Komma vergessen, können wir nicht mehr sagen, dass das Weglassen falsch ist. Besser ist der Satz immer noch mit Komma, weil das Komma hier nämlich Bedeutung schafft. Das heisst, der Satz ist klarer und hat mehr Aussage.»

«Und wieso weisst du das und sie nicht?» «Als Student habe ich mit den Leuten gearbeitet, die damals den Duden geschrieben haben. Deshalb weiss ich auch, dass sie oft unglücklich waren. Das Problem ist, dass der Duden gleichzeitig beschreiben soll, wie die Leute heutzutage Deutsch reden und schreiben und wie es schön und gut wäre. Das heisst, je mehr kluge und sprachgewandte Leute sich an die Regeln halten, die im Duden stehen, umso dümmer wird die Sprache. Weil dann nur noch die Dummen die Regeln brechen. Und so müssen die Regeln immer weiter nach unten angepasst werden.»

«Das habe ich jetzt zwar nicht begriffen. Aber die Kommas, sind das nicht diese Fligenschisse? Wegen ein paar Fliegenschissen hätte ich keine schlechte Laune.» Ich musste lachen. «Es geht nicht nur ums Komma, sondern darum, dass alles immer netter und braver wird. Angepasster. Nur bloss nicht auffallen! Anderes Beispiel: Mein Titel für die neue Kolumne passt noch nicht. Rate mal, warum.» «Keine Ahnung.» «Weil er genau vier Zeilen haben muss, die abwechselnd lang und kurz sind, oder auch kurz und lang. Was drinsteht, ist egal. Frag mich nicht, wem sowas einfällt.» «Aber das macht doch Spass», rief Bigna, «darf ich?» «Bitte schön.» «Vier Zeilen, sagst du?» «Aber abwechselnd lang und kurz.»

Tim Krohn, 52

Der freie Schriftsteller wurde in Nordrhein-Westfalen geboren, wuchs ab seinem zweiten Lebensjahr in der Schweiz im Glarnerland auf und wohnte danach gut zwanzig Jahre lang in Zürich. Inzwischen lebt er mit Frau und Kindern in Santa Maria Val Müstair.

Für «reformiert.» schreibt Krohn seit Anfang 2017 die Kolumne «Kindermund», anfangs ein Jahr lang im Wechsel mit Richard Reich (Schöpfungen).

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